Die Leipziger Volkszeitung zu Köhler/Kandidatur
Archivmeldung vom 23.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBundespräsident Horst Köhler ist kein Mann für die Defensive. Bevor er sich zurückhält und das kakophonische Parteien-Geschrei um seine zweite Amtszeit noch schriller wird, bereitet er allen Spekulationen vorzeitig ein Ende.
Er tritt konsequent die Flucht nach vorn an, erklärt vorzeitig seine Bereitschaft, erneut für das höchste Amt im Staat zu kandidieren, und nimmt damit vorerst die Luft aus den Aufgeregtheiten der letzten Wochen. Das spricht für Köhlers Selbstbewusstsein. Er ist in seinem Amt gewachsen, auch wenn das automatisch jede Menge Berufskritiker auf den Plan ruft. Der Großteil der Bürger hat das längst erkannt. Aus dem Horst wer? ist ein beliebter Bundespräsident geworden, der sich nicht scheut, aus verfassungsrechtlichen Gründen seine Unterschrift unter Gesetze zu verweigern. Seine Popularität hat er auch der Tatsache zu verdanken, dass er Politikern ab und an die Leviten liest und seinen Job ein bisschen anders interpretiert, als nur den Gruß-August zu geben. Wenn sich die Koalition gern in unverbindlichen Absichtserklärungen windet, spricht Köhler lieber Klartext. Das wird honoriert. Als Beweis können seine Umfrage-Werte gelten, die andere erblassen lassen. Bemerkenswert an Köhlers zweiter Kandidatur ist allerdings ein anderer Fakt. Der Bundespräsident, der immer wieder das Risiko bei den Bürgern einfordert, lässt sich diesmal selbst auf ein Wagnis ein. Denn über den Erfolg seiner Kandidatur kann er sich nicht sicher sein. Ein Novum in der jüngeren deutschen Geschichte: Zum ersten Mal muss ein amtierender Bundespräsident mit einem Gegenkandidaten rechnen und eine Wahlniederlage in der Bundesversammlung einkalkulieren. Die knappe bürgerliche Mehrheit von Union und FDP, die Köhler vor drei Jahren ins Amt hebelte, könnte nach der Bayern-Wahl nur noch ein Aspekt für die Geschichtsbücher sein. Wenn nicht alles täuscht, wird es also in einem Jahr noch einmal auf das Duell Köhler gegen Gesine Schwan hinauslaufen. Noch hat sich die SPD nicht konkret festgelegt, aber dass die Universitätspräsidentin aus Frankfurt/Oder erneut als ihre Kandidatin antritt, pfeifen mittlerweile fast alle Spatzen von den Berliner Dächern. Da braucht die SPD-Chefetage nicht bis Montag mit der Verkündung warten. Fragt sich dann nur, wer das größere Risiko eingeht? Köhler oder der SPD-Vorsitzende Beck? Denn zur Wahl von Schwan braucht die SPD zwingend die Stimmen der Linken. Vier Monate vor der Bundestagswahl wäre das dann der Beweis. Wenn es um die eigene Macht und gegen das bürgerliche Lager geht, gilt die Koalition mit den Linken für die SPD als geringeres Übel. Zumindest diese Erkenntnis wird für Klarheit bei den Wählern sorgen. Für SPD-Chef Beck bleibt es ein gewagter Ritt. Zusammen mit der Linken - und zur eigenen Profilierung - die Abwahl eines populären Bundespräsidenten vorangetrieben zu haben - das könnte sich als schwere Hypothek im Wahlkampf erweisen. Durchaus denkbar, dass der versuchte Befreiungsschlag ein Rohrkrepierer wird.
Quelle: Leipziger Volkszeitung (von André Böhmer)