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WAZ: Nach dem Erdbeben in China

Archivmeldung vom 14.05.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.05.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Im Januar noch konnte die Welt erleben, wie Chinas Behörden ihre Unfähigkeit zelebrierten. Der Winter hatte Teile des Landes lahmgelegt, und im Volk wuchs der Zorn über das Versagen der Bürokraten angesichts der Schneemassen. Im März dann zeigte die chinesische Diktatur ihr hässliches Gesicht: Der Aufstand der Tibeter wurde niedergewalzt, die Berichterstattung unterdrückt. Weltweit wuchsen Zweifel, ob es denn richtig war, die Olympischen Spiele an diese Despoten zu vergeben.

Angesichts der Erdbeben-Katastrophe in Sichuan wollen die chinesischen Machthaber nun offenbar alles besser machen. Regierungschef Wen Jiabao reiste sofort ins Unglücksgebiet, fand Worte des Mitgefühls für die Opfer, spornte die lokalen Größen zu großen Kraftanstrengungen an und mahnte die Bonzen, ja keine Spendengelder zu unterschlagen. Wen Jiabao weiß, was die Chinesen nun von ihrer Führung erwarten.

Denn die Zeiten, in denen es der Pekinger Clique egal sein konnte, was das Volk dachte, sie sind auch in China endgültig vorbei. Zwar beschränkt sich der Ruf nach bürgerlichen (sprich: westlichen) Freiheiten immer noch auf kleine Gruppen. Doch der Wunsch, in materiell gesicherten Verhältnissen leben zu können, hat das ganze Volk erfasst. Die Furcht der Pekinger Parteiführung vor dem eigenen Volk ist nicht unbegründet: Das riesige Heer der rund 200 Millionen bitterarmen Wanderarbeiter stellt eine potenzielle Gefahr dar; ebenso der Unmut der Bürger über drastisch steigende Preise und der Hass auf die korrupten Beamten vor Ort. In einigen Provinzen - etwa in Tibet - dringen zudem nationale Minderheiten auf zunehmende Autonomie.

Auf all das wird die Kommunistische Partei eine Antwort finden müssen. Ohne dem Volk zumindest in bescheidenem Maße Wohlstand und eine gewisse Art Mitbestimmung zu garantieren, hat die Führung mit ihrem Modell der kapitalistischen Entwicklungsdiktatur jegliche Legitimation verloren. Käme es aber in China auf breiter Front zu Unruhen, würde das riesige Land unbeherrschbar, wäre das Ende der alten Eliten möglicherweise rasch eingeläutet.

Ohne die Olympischen Spiele wären die Pekinger Despoten wohl geneigt, vor allem auf die hergebrachte Taktik - unterdrücken, leugnen, wegsperren - zu setzen. Jetzt, da die Welt zuschaut, verbietet sich das weitgehend. Vielleicht profitieren ja die Menschen im Erdbebengebiet von Sichuan von Olympia. Und vielleicht merken die Herren in Peking endlich, dass man das Volk auch anders behandeln kann als mit der Knute.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Lutz Heuken)

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