WAZ: Heute tagt das SPD-Präsidium: Die rot-rote Versuchung
Archivmeldung vom 25.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHat Kurt Beck wirklich geglaubt, es würde sich niemand dafür interessieren, wenn Frau Ypsilanti sich in Hessen mit Hilfe der Linkspartei zur Regierungschefin wählen lässt? Hat er wirklich geglaubt, es würde geheim bleiben, dass er zu diesem außerordentlichen Vorgang Ypsilanti ausdrücklich die Freiheit gab? Hat er wirklich geglaubt, seine Partei würde ihm applaudieren, wenn er die Glaubwürdigkeit der Macht hinterherwirft?
Und schließlich: Hat er wirklich geglaubt, er müsste nicht einmal erklären, nicht einmal der SPD, was er hier tut? In einer doch so wesentlichen Frage, an deren Beantwortung auch die Zukunft der Partei hängen kann, der er vorsteht.
Denn machen wir uns nichts vor: Eine SPD, die, ob nun offen oder
teilverdeckt, mit der Linkspartei regiert, ist nicht mehr dieselbe.
Selbst, wenn uns nun Politik-Professoren vorrechnen, dass es
möglicherweise staatspolitisch sogar geboten sein könnte, die Linke
auch im Westen mit in Regierungen zu nehmen, auf dass sie sich dort
entradikalisiere und Stück für Stück zur Pro-System-Partei würde: die
SPD könnte es dabei zerlegen. Ist das egal?
Als Bündnispartner der Linkspartei entwickelt sich die SPD nach
links. Die Kräfte, die es ohnehin dahin zieht, bekämen Aufwind.
Deutschland wird älter, die Linkspartei will die Rente mit 60. Die
internationale Konkurrenz wird härter, die Linkspartei will die
30-Stunden-Woche. Für ihre Forderungen wird die Linkspartei in der
SPD Anhänger finden. Niemand weiß das besser als Oskar Lafontaine.
Als ausgesprochen linke Partei aber würde sich die SPD von einer
Volkspartei wegentwickeln zu einer Richtungspartei. Sie gäbe die
Mitte preis.
Alle sozialdemokratischen Kanzler wussten, dass Wahlen in der
Mitte gewonnen werden. Und noch etwas: "Vergesst mir die Freiheit
nicht", hat Willy Brandt seinen Genossen zugerufen. Er wusste wohl,
warum. Sollte es wirklich keine Rolle mehr spielen, dass die
Mitglieder der Linkspartei mehrheitlich aus der SED stammten, die
Sozialdemokraten in Gefängnisse sperrte? Was würde die SPD
veranstalten, wenn sich die CDU, um einen Ministerpräsidenten durch
zu bekommen, auf die Republikaner oder die NPD einließe? Eine neue
Bündnis-Strategie, zumal mit einem umstrittenen Partner, sollte nicht
als Nacht- und Nebel-Aktion starten. Die meisten Sozialdemokraten
haben ein tiefes Gefühl dafür, dass es so genau nicht geht. Heute
tagt die SPD-Führung. Zu Beginn der Sitzung sollte Kurt Beck einfach
zugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Das wäre nicht schwach,
sondern stark.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung