WAZ: Bergläufer starben im Schnee
Archivmeldung vom 15.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZwei Bergläufer sind ums Leben gekommen, weil sie nicht richtig vorbereitet waren auf die schwere Anstrengung, aufs Wetter. Das ist nicht nur menschlich bestürzend, es ist auch desillusionierend: Wir haben die Natur keineswegs fest im Griff des Fortschritts. Wir glauben es nur.
Es gibt viele Gründe, weshalb Menschen an Grenzen gehen, manchmal
um jeden Preis. Einer ist das irrationale Vertrauen in die eigene
Kraft, in die Beherrschbarkeit der Welt. Ein anderer die rasende
Sucht nach immer mehr, von allem.
Größer, schneller, besser, spannender - so soll die Welt sein.
Lebendiger, das vor allem. Auch gefährlicher. In sicheren warmen
Häusern, in denen Hunger keine Erfahrung ist und der Tag zu immer
derselben Stunde beginnt, mit einer Arbeit, die auf Jahrzehnte hinaus
vorhersehbar scheint, kann der Wunsch sehr stark werden, mehr zu sein
und mehr zu tun. Sich zu beweisen.
Früher sorgten Kriege und hartes Leben dafür, dass die Sehnsucht
nach Gefahr nicht zu groß wurde. Heute ist Sport ein Ventil. Sport
macht den Körper erfahrbar; das hatten Büromenschen lange vergessen.
So wurde Sport zur kollektiven Leidenschaft, und zur Ware.
Das hat Vorteile. Sport, auch Extremsport, in der Gruppe
auszuüben, ist reizvoll. Wegen des Gemeinschaftserlebnisses und weil
es einen Verantwortlichen gibt; von ihm wird erwartet, dass er die
Gefahr kalkuliert. Er berechnet aber zugleich auch seinen Gewinn,
natürlich. Bezeichnend, dass es jetzt heißt, der Veranstalter hätte
im Vorjahr wegen des Wetters den Lauf abgebrochen und wäre
anschließend mit Regressforderungen konfrontiert worden. Das sagt
entsetzlich viel.
Wer sich in Gefahr begibt, trägt die Verantwortung. Wer Gefahr anbietet, auch. Kein Bergsteiger käme auf die Idee, eine Höhe von 3000 Metern ohne wärmenden Wetterschutz anzugehen; das hätte jeder Beteiligte wissen und sich auf irgend eine Weise vorbereiten müssen. In der Natur kann man sich nicht darauf verlassen, dass schon alles gut gehen wird.
An Grenzen gehen - es ist der verständliche Wunsch nach dem Kick
in einer technisch beherrschten Welt. Aber die Grenzen beginnen eher,
als wir wahrhaben wollen, der Mensch kann mit der Geschwindigkeit der
Technik nicht mithalten. Wir können bei Gefahr womöglich noch
telefonieren, uns aber nicht mehr retten. Was tun? Es genügt der
Respekt vor der Natur.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Gudrun Norbisrath)