Börsen-Zeitung: Ende einer Legende
Archivmeldung vom 20.11.2018
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Freigeschaltet durch André OttCarlos Ghosn wurde in Japan immer heiß geliebt: Der Franzose rettete Nissan vor der Pleite, schmiedete die Dreierallianz Renault-Nissan-Mitsubishi und machte sie zum größten Autohersteller der Welt. Ein Manga über ihn wurde zum Bestseller, noch immer erscheinen Lobeshymnen auf ihn. Aber Ghosn wurde auch tief gehasst, weil ein Ausländer es so viel besser machte als ein Japaner. Mit dem Franzosen traf zudem die unbequeme Globalisierung ein. "Le Cost Cutter" ignorierte japanische Traditionen und alte Netzwerke und entschied nur auf der Basis von Zahlen.
Ihrem Ärger über den abrupten Kulturwandel machten Aktionäre auf Nissan-Hauptversammlungen Luft, indem sie gegen das hohe Einkommen von Ghosn wetterten. Seit acht Jahren müssen japanische Unternehmen der Tokioter Börse alle Manager mit einem Jahresgehalt über 100 Mill. Yen (850.000 Euro) melden. Ghosn stand meistens an der Spitze. Vor den Aktionären rechtfertigte er sich damit, er müsse genauso viel verdienen wie die CEOs westlicher Autobauer. Doch das hatte einen schalen Beigeschmack, weil die Chefs von Toyota und Honda viel bescheidener blieben. In Japan ist die Gehaltsschere zwischen Belegschaft und Management weit weniger offen als im Westen. Auch sind Unternehmenschefs eher Moderatoren als Entscheider.
Wir wissen nicht, warum Ghosn der Tokioter Börse jahrelang rund die Hälfe seines Einkommens verschwiegen hat. Aus der Untersuchungshaft konnte der 64-Jährige sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Vielleicht wollte er Aktionäre und Öffentlichkeit in Japan nicht zu stark provozieren. 1 Mrd. Yen (8,5 Mill. Euro) Gehalt klingt in japanischen Ohren akzeptabler als 2 Mrd. Yen. Diese Erklärung widerspricht allerdings den "zahlreichen anderen bedeutenden Vergehen", darunter die private Nutzung von Firmenvermögen, die Nissan auch fand.
Die interne Untersuchung wurde durch einen Whistleblower ausgelöst. Daher machte schnell das Wort "Putsch" die Runde. Der Verwaltungsrat wird seinen Vorsitzenden jedenfalls schon am Donnerstag absetzen, ohne ihn vorher anzuhören. Nach 19 Jahren Fremdherrschaft wollen die Japaner offensichtlich endlich wieder selbst das Zepter in "ihrem" Unternehmen in die Hand nehmen. Die meisten Manager werden Ghosn keine Träne nachweinen. CEO Hiroto Saikawa kritisierte vor der Presse offen die "dunkle Seite" der Machtkonzentration in einer einzigen Hand. Egal ob Ghosn naiv, selbstherrlich oder kriminell war - Japan erlebt gerade das Ende einer Managerlegende.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Martin Fritz