Rheinische Post: NRW kämpft um sein Erbe
Archivmeldung vom 23.08.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEinen treffenderen Titel hätte die britische Besatzungsmacht nicht für ihr Vorhaben finden können: "Operation Marriage" (Operation Hochzeit) benannte die Militärregierung den Plan für den Zusammenschluss der früheren preußischen Provinzen Nordrhein und Westfalen.
Am 23. August 1946, heute vor 60 Jahren, kam es zur
Eheschließung. Und wie sieht die Bilanz nach 60 Jahren Ehe aus?
Erfahrene Eheleute raten jungen Paaren immer, eigene Erwartungen
zurückzuschrauben, sich auf den Partner einzulassen, die Probleme
gemeinsam lösen. Ganz wichtig: Viel miteinander reden, damit nicht
aus Sprach- erst Rat- und dann Verständnislosigkeit wird. Und so
haben die beiden ungleichen Partner die vergangenen sechs Jahrzehnte
so gut gemeinsam gemeistert, dass ihnen heute mit einer Fernsehgala
auf dem Düsseldorfer Burgplatz und am Wochenende auf dem
Jubiläumsfest an der Rheinpromenade der Landeshauptstadt Millionen
zufriedene Landeskinder gratulieren werden.
Es waren schwierige Jahre des Aufbaus für die Männer der ersten
Stunde, wie den ersten frei gewählten Ministerpräsidenten Karl
Arnold, aber auch seine Nachfolger über Rau bis Rüttgers. Denn
Nordrhein-Westfalen stand nie still, sondern ständig vor neuen
Herausforderungen. "Äußerste Anstrengungen zur Versorgung
Deutschlands", hieß die erste Schlagzeile unserer Zeitung, die diesem
Land ein treuer, kritischer Begleiter war und ist.
Und wenn wir auch auf hohem Niveau klagen, so hätte man doch auch
heute titeln können: "Äußerste Anstrengungen zur Bewältigung des
Strukturwandels". Denn NRW ist Deutschland unter dem Brennglas mit
all seinen Verwandlungen, Irrungen, Wirrungen. Die Montanindustrie
ist nahezu verschwunden, Stahl und Bergbau sind nicht länger die
Taktgeber der Wirtschaft. Besonders das Ruhrgebiet spürt aber nach
wie vor, dass überzeugende Antworten darauf fehlen, wenn
Blaumann-Jobs verdampfen, ohne dass viele neue Büro-Arbeitsplätze
entstehen.
Auch aus der Not, die diese Erkenntnis provoziert, hat sich NRW
politisch gewandelt. Wie sein politisches Vorbild Arnold möchte sich
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers als "soziales Gewissen" des ganzen
Landes verstanden wissen. In diesem Bemühen beherrschte er die
nachrichtenarme Sommerzeit mit seinen Profilierungsversuchen. Aber
alle Aussagen über Lebenslügen seiner CDU täuschen nicht darüber
hinweg, dass auch er noch keinen Hebel gefunden hat, das Erbe des
diamantenen Jubelpaares Nordrhein und Westfalen zu bewahren: den
sozialen Ausgleich zu erhalten, industrielle Arbeitsplätze im Lande
zu sichern und neue innovative Beschäftigungsfelder zu erschließen.
Die Landespolitik wirkt eingezwängt zwischen Haushaltsnot und mattem
Mut. Gerade an einem Tag wie die dem heutigen wünscht man ihr also
etwas vom Aufbruchsgeist der Gründerväter zurück.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post