Westdeutsche Zeitung: Eine Minderheitsregierung löst keine Probleme
Archivmeldung vom 15.06.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMehr als fünf Wochen nach der Landtagswahl ist die nordrhein-westfälische Politik um eine neue Spekulation reicher. Von stabilen politischen Verhältnissen scheint das Land seit gestern aber weiter entfernt als jemals zuvor. Eine Minderheitsregierung jedenfalls wird diese Stabilität nicht schaffen können.
Sie nur zu bilden, um damit Schwarz-Gelb im Bund zu stoppen, wird der Bedeutung des Bevölkerungsreichsten Bundeslandes nicht gerecht. Insbesondere in der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise.
Es ist gut, dass Minderheitsregierungen bislang die Ausnahme im deutschen Politiksystem geblieben sind. Auch im Landtag in Düsseldorf würden SPD und Grüne schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn für politische Beschlüsse eben nicht mehr die rot-grünen Stimmen ausreichten.
Das wäre spätestens im Winter der Fall, wenn der Landtag einen neuen Haushalt beschließen muss. Und ohne diesen Etat ist Regieren schlichtweg nicht möglich. Die Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung liefe von Beginn an zwangsläufig auf Neuwahlen hinaus.
Hannelore Kraft würde sich selbst einen Gefallen tun, sich nicht auf das Experiment Minderheitsregierung einzulassen. Auch wenn eine Wahl zur Ministerpräsidentin im vierten Wahlgang theoretisch ohne die Stimmen der Linkspartei möglich wäre: Praktisch wird niemand ausschließen können, dass die Linken die SPD-Chefin nicht schon im ersten - geheimen - Wahlgang mit zur Regierungschefin küren. Kraft wäre in die Ypsilanti-Falle getreten, was sie mit dem Abbruch der rot-rot-grünen Gespräche vermieden hatte. Die Debatte, wie es die SPD denn nun mit den Linken hält, wäre neu entfacht.
Zunächst aber will die SPD versuchen, aus der Opposition heraus zu regieren. Sie kündigt schon erste Gesetzentwürfe an, beispielsweise zur Abschaffung der Studiengebühren. Die geschäftsführende CDU/FDP-Regierung wird dies zu verhindern suchen - NRW wird möglicherweise über Monate hinweg politisch blockiert sein. Angesichts dieser Aussichten sollten die Spitzen der Parteien nochmals in sich gehen. Politik ist die Kunst des Kompromisses. Und man kann eben nicht so lange wählen lassen, bis einem das Ergebnis passt.
Quelle: Westdeutsche Zeitung