Scheitern in Serie
Archivmeldung vom 27.08.2022
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittTim Höttges, der Vorstandschef der Deutschen Telekom, hat sich von einer Lieblingsagenda verabschiedet. Der leidenschaftliche Befürworter einer umfassenden grenzüberschreitenden Konsolidierung der Telekombranche in Europa - auf idealerweise vier große Player - gibt die Idee als "chancenlos" auf. Ein beachtliches Signal von einem Manager, der eigentlich nie aufgibt (We won't stop). Aber bei diesem Vorstoß hat Höttges auf Granit gebissen. Zu groß waren die nationalen Widerstände. Die Vorstellung, die kritische Telekommunikationsinfrastruktur in ausländische Hände zu legen, erscheint in allen europäischen Ländern monströs, der Verlust souveräner Kontrolle nicht hinnehmbar; dies auch dann nicht, wenn es sich bei dem potenziellen Zusammenschluss um zwei Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten handelt. Gerade in einer Schlüsselbranche für Wirtschaft und Gesellschaft hat die Idee eines europäischen Champions keine echten Anhänger. Das musste vor rund 20 Jahren schon der damalige Telekom-Chef Ron Sommer erfahren, als er Telecom Italia schlucken wollte. Dafür hat sie auch jenseits der Politik genügend Gegner. Die mächtigsten sitzen in der EU selbst an den Schalthebeln der Macht.
Die EU-Kartellbehörde kann einer Konsolidierung der Branche schon in einzelnen Ländern in aller Regel wenig abgewinnen; das Ziel einer Konzentration auf wenige große Player in Europa wäre in Brüssel chancenlos. Indes hat die Idee auch betriebswirtschaftlich nicht den größten Charme, denn die Synergien bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen sind sehr begrenzt. Operativ kann die Skalierung einiges an Ersparnissen bringen, aber der große Hebel - Synergien bei den Investitionen in die Netze - fehlt.
Die europäische Telekombranche muss daher andere Wege finden, um ihr größtes Problem zu lösen: milliardenschwere Investitionen in neue Infrastruktur, vor allem Glasfaser, aber auch 5G. Sowohl Festnetz als auch Mobilfunk müssen aufgerüstet werden, um den explodierenden Datenverkehren einer künftig stärker digitalisierten Wirtschaft gerecht zu werden. Dies umso mehr, als der technische Fortschritt nicht nur im Transport größerer Verkehrsmengen besteht, sondern die neuen Netze auch um ein Vielfaches energieeffizienter sind. Das ist auch für die Klimabilanz der Unternehmen relevant. Scharfer Wettbewerb unter den Anbietern, anhaltender Druck auf Preise durch die relative Verbilligung der Services und infolgedessen stagnierende oder gar sinkende Cashflows beeinträchtigen indes seit Jahren die Investitionskraft vieler Telekomfirmen. Dabei sind die schwächsten Glieder der Kette - namentlich Telecom Italia (TIM), KPN und BT Group - nicht ohne Grund ins Visier von Schnäppchenjägern geraten. TIM und BT ächzen beide unter einer schweren Schuldenlast, die eine echte Kraftanstrengung bei Netzinvestitionen, vor allem in teure Glasfaser, kaum möglich macht. Entsprechend hinkt dort der Netzausbau hinterher. KPN kämpft im kleinen niederländischen Markt mit einem beinharten Wettbewerb und kann deshalb ebenfalls aus eigener Kraft keine großen Sprünge machen.
Bei den Schnäppchenjägern handelt es sich überwiegend um branchenerfahrene Finanzinvestoren, die vor allem Infrastruktur als lukrative Geldanlage betrachten. Deshalb haben etwa KKR bei Telecom Italia und auch EQT bei KPN den großen Wurf gewagt und eine Übernahme der Unternehmen insgesamt angestrebt. Dahinter stand der Plan, Service-Geschäft und Infrastrukturgeschäft zu trennen und mit der Vermietung der Infrastruktur Geld für Investitionen einzutreiben. Indes stößt auch diese Idee in Europa auf wenig Gegenliebe. Die Niederlande haben den Vorstoß von EQT bereits blockiert, die italienische Regierung laviert wie immer so lange, bis der potenzielle Investor KKR sein Gebot fallen lässt; Giorgia Meloni, die Spitzenkandidatin der Rechtsaußenpartei Fratelli d'Italia, die im Wahlkampf vorne liegt, liebäugelt offen mit einer Verstaatlichung von TIM. Großbritannien hat den Einstieg des französischen Milliardärs Patrick Drahi bei BT gebilligt, aber ein Stoppsignal gesetzt. Auf diese Weise kann es bei den Unternehmen kaum vorangehen.
Unterdessen suchen Finanzinvestoren nach Alternativen, um mit Infrastruktur Geld zu verdienen. Immer neue Fonds entstehen, die sich Telekom-Aktiva zusammenkaufen oder direkt Glasfaser-Vehikel gründen. Für die Telekombranche kann das am Ende auch teuer werden, wenn sie die Infrastruktur aus den Händen von Private Equity teuer mieten oder zurückerwerben muss.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots)