Leipziger Volkszeitung zur Föderalismusreform
Archivmeldung vom 07.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGefühlsausbrüche in der Bevölkerung provoziert die Föderalismus-Reform nicht. Doch niemand sollte sich über die trockene Materie hinwegtäuschen: Von einer Neuordnung des verworrenen Zuständigkeits- und Entscheidungsgeflechts zwischen Bund und Ländern hängt viel für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ab. Die Reform hat für jeden Bürger spürbare Folgen.
Positive, wenn sie
gelingt, negative, wenn sie scheitert - oder gar zu
Verschlimmbesserungen führt. Wer politische Blockaden
unwahrscheinlicher und Beschlusshierarchien effektiver machen will,
muss die Kompetenzen von Bund und Ländern klar trennen. Wenn der
großen Koalition ein schneller Erfolg zugetraut wurde, dann hier.
Überwunden schienen die rot-grünen Jahre, in denen das Reformwerk
nach hoffnungsvollen Vorarbeiten von Stoiber und Müntefering aus
parteitaktischen Gründen doch noch platzte.
Doch die Koalition tut sich schwerer als erwartet. Erst nach
kräftigem Zaudern wird jetzt ein Vorschlag in Bundestag und -rat
eingebracht, der nicht mehr als Stückwerk ist. So trauten sich die
Koalitionäre noch nicht, Hand an die verkorksten Finanzbeziehungen
zwischen Berlin und den Ländern zu legen. Damit ist die entscheidende
Umstrukturierung auf Eis gelegt.
Zielführend immerhin ist, wenn der Bundestag in Zukunft über mehr
Gesetze ohne Einmischung der Länderkammer allein entscheiden kann. Zu
positivem Wettbewerb führt auch die weitere Zurückdrängung des Bundes
in der Bildungspolitik. Jedenfalls dann, wenn eine Vergleichbarkeit
der Schul- und Hochschulabschlüsse garantiert werden kann. Wer auf
mehr Zentralismus in der Schulpolitik setzt, sollte bedenken:
Bestimmt allein Berlin über Unterrichtsinhalte und -methoden, ist
beileibe nicht ausgemacht, dass alle Schulen das sächsische oder
bayerische Niveau erreichen. Bundesweit könnten die Schüler auch in
Bremer Verhältnissen landen.
Bildungsföderalismus hat nichts mit kontraproduktiver Kleinstaaterei
zu tun. Dies gilt allerdings nicht für alle Reformvorschläge. So sind
mehr Kompetenzen der Länder in der Beamtenbesoldung, im Strafvollzug
sowie im Umweltrecht nur bis zu einem gewissen Grad wünschenswert.
Gewisse Unterschiede fördern den Standortwettstreit um die besten
Lösungen. Dies bietet Chancen gerade für die neuen Bundesländer,
deren wirtschaftlicher Aufholprozess lahmt.
Der jetzige Gesetzesentwurf lässt aber Abweichungen zu, die in der
Bundesrepublik zu einem verwirrenden Flickenteppich unterschiedlicher
Standards führen können. Nachbesserungen sind erforderlich. Die
werden von einigen Politikern inzwischen lautstark gefordert.
Meistens leider an der falschen Stelle. Und da manche
Ministerpräsidenten angekündigt haben, dem Reformwerk nur in
unveränderter Form zuzustimmen, droht dem Reformland Deutschland
wieder einmal die Wahl zwischen faulem Kompromiss und Stillstand.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung