Westdeutsche Zeitung: "Kopflose" Entscheidung
Archivmeldung vom 27.09.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.09.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs gibt (noch) gar keinen Skandal, nicht mal ein Skandälchen, da setzt die Deutsche Oper Berlin bereits in vorauseilender Vorsicht die Wiederaufnahme von Hans Neuenfels' Inszenierung "Idomeneo" ab.
Schon das Wort "Wiederaufnahme" lässt die
Ohren klingeln. Die Oper lief bereits 2003 in Berlin. Die Szene mit
den abgeschlagenen Köpfen der drei "Religionsvertreter" Gottes auf
Erden, Jesus, Buddha und Mohammed, erntete zwar Kritik und Proteste.
Aber daran, die Oper abzusetzen, dachte damals niemand.
Und auch jetzt gibt es keinen Grund auch keine "unkalkulierbaren
Sicherheitsrisiken", die das Theater angibt. Eine konkrete Bedrohung
des Hauses hat es nie gegeben. Lediglich eine Gefahrenanalyse des LKA
kommt zu dem Ergebnis, dass "Störungen der Aufführung nicht
ausgeschlossen werden können". Das lässt allerlei Rückschlüsse auf
das geistige Klima in unserem Land zu, in dem man sich die Zensur
jetzt schon selbst verordnet. Soll demnächst für jedes künstlerische
Produkt eine "Gefahrenanalyse" angestrebt werden?
Natürlich ist man nach Karikaturenstreit und Papst-Rede vorsichtig, denn die Gefühle der islamischen Fundamentalisten kochen offensichtlich schnell hoch. Doch die Kunst muss alle Freiheiten besitzen, sich auch mit schwierigen, hochaktuellen Themen auseinanderzusetzen. Kunst verdichtet, überhöht, spitzt zu, das ist ihr Wesen. Da kann mancher szenischer Einfall schon mal drastisch ausfallen, um die metaphorische Kraft zu steigern. Ob zu drastisch darüber kann man diskutieren. Kunst soll dazu anregen, durchaus kontroverser Meinung zu sein. Doch um darüber diskutieren zu können, dafür muss "Idomeneo" dem Publikum gezeigt werden. Die Entscheidung, die Oper abzusetzen, ist feige und wahrlich "kopflos".
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Zeitung