Börsen-Zeitung: Abrüsten, Kommentar zur Tarifrunde
Archivmeldung vom 09.01.2018
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Freigeschaltet durch André OttDie Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie geht in die heiße Phase - und es droht ein Streit wie seit Jahren oder gar Jahrzehnten nicht. Nun müssen beide Seiten Maß und Mitte wahren: Die Arbeitgeber sollten sich überfälligen Diskussionen nicht verweigern, aber die IG Metall darf auch nicht überziehen. So sehr die Wirtschaft in Deutschland aktuell auch brummt, so wenig kann sie einen Streik in der Schlüsselbranche gebrauchen.
Die 6-Prozent-Lohnforderung der IG Metall ist da sicher noch das kleinere Problem - denn sie ist erst einmal nur genau das: eine Forderung. Die Arbeitgeber bieten bislang 2 Prozent mehr Gehalt. Damit scheint ein Kompromiss in der Mitte möglich - und im Übrigen auch vertretbar: Zieht man die alte Formel "Produktivität plus Inflation" zu Rate, scheinen 3 Prozent oder gar ein Schnaps mehr ökonomisch gerechtfertigt. Viel kritischer, weil kontroverser ist die Forderung nach einer befristeten Senkung der Arbeitszeit auf 28 Wochenstunden - teils mit Lohnausgleich. Die IG Metall pocht auf mehr Zeitsouveränität der Beschäftigten - und droht mit den neuen 24-Stunden-Warnstreiks oder gar raschen Flächenstreiks. Die Arbeitgeberseite will im Gegenteil die Optionen für mehr Arbeit pro Woche ausweiten - und brandmarkt den IG-Metall-Vorstoß gar als illegal.
Mit der Forderung nach Teillohnausgleich etwa für Beschäftigte, die Kinder erziehen oder Familienangehörige pflegen, schießt die Gewerkschaft wohl etwas übers Ziel hinaus. So verdienst- und wertvoll diese Tätigkeiten sind, so wenig sollte deren Finanzierung primär bei den Unternehmen abgeladen werden. Das ist zuallererst eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Was die Arbeitszeitverkürzung an sich betrifft, müssen aber beide Seiten ideologisch abrüsten. Die Gewerkschaft muss anerkennen, dass viele Betriebe den Beschäftigten auch jetzt schon entgegenkommen - auch wenn es da viel Verbesserungspotenzial gibt. Sie darf zudem die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Beschäftigungschancen aller Arbeitnehmer nicht aus dem Blick verlieren. Die Arbeitgeber dürfen indes nicht übersehen, dass es im EU-Vergleich bereits eine starke Flexibilität gibt - auch wenn sie sich mehr wünschen. Zudem müssen sie angesichts des Fachkräftemangels ein ureigenes Interesse haben, Familie und Beruf besser zu vereinen.
Viele Arbeitszeitregeln stammen noch aus den 1980er Jahren. Die Zukunft der Arbeitswelt - Stichwort: Digitalisierung - macht es nötig, die Bedürfnisse von Unternehmen und Beschäftigten neu auszutarieren, wobei die Lösung von Betrieb zu Betrieb verschieden sein wird. Ein solcher Ausgleich ist im Interesse aller - das muss jetzt die Maxime sein.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Mark Schrörs