Die Leipziger Volkszeitung zu Merkel/Koalition/Afghanistan
Archivmeldung vom 05.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMerkels erste Afghanistan-Visite scheint exakt in das gepflegte Bild der Event-Managerin zu passen: Immer wenn innenpolitisch gar nichts mehr zu gehen scheint, oder wenn alle wie jetzt vor den wegweisenden beiden Koalitionsgipfeln von ihr Führung erwarten, flüchtet die Regierungschefin auf ausländisches Gebiet.
In Mazar-i-Sharif kurz mit
der Splitterschutzweste auftreten und zu Hause ein klitzekleines
Machtwörtchen bei Mindestlohn und Sparkurs einfach so in den Raum
stellen - nicht viel für eine Kanzlerin.
Es ist und bleibt blamabel, dass Merkel erst in der Stunde der
beinahe größten Not ein paar Stunden bei den deutschen Helfern vor
Ort erübrigt. Warum gibt Deutschland zehn Mal mehr für die Arbeit der
Bundeswehr aus als für die Polizei- und Justizhilfe? Die Worte vom
Strategiewechsel klingen seltsam hohl, so bald es konkret wird.
Mit Raffinesse mag es Frau Merkel bisher gelungen sein, auf
internationaler Bühne zu punkten. Doch ihre wenig eindrucksvolle
außenpolitische Bilanz ist mittlerweile nicht einmal mehr durch rote
Teppiche oder spektakuläre Bilder aus dem afghanischen
Bürgerkriegs-Alltag zu übertünchen. Merkel macht andernorts
allenfalls Eindruck, aber ganz wenig mit Nachdruck. Im Verhältnis zu
Russland ist kein System zu erkennen, stattdessen provoziert Moskau
im Luftfracht-Bereich, so als sei die Bundesrepublik ein machtloser
Winzling. In Asien stocken Rechtsstaats- und Demokratie-Diskurse.
Hinter manch richtiger und spektakulärer Menschenrechts-Geste scheint
nicht viel mehr als pure Effekthascherei zu stecken. Es ist sicher
gut, dass Neuentdeckerin Merkel kürzlich Indien auf ihrer Karte der
weltpolitischen Bedeutsamkeit gefunden hat. Ob und wieso Merkel
politisch und ökonomisch mit ihren Entdeckungsreisen etwas anfangen
will, bleibt auch da unklar. Das sagen nicht nur Deutschlands
führende Industrie-Bosse - aber die auch.
In Europa mag die Kanzlerin als taffe Ostfrau gelten. Ob das dem Land
nutzt, ist nicht zu erkennen, nicht in Polen, nicht in Frankreich,
nicht in Großbritannien und auch nicht bei der EU. Deutschland ist
eher weniger als mehr wert im Vergleich zur Vor-Merkel-Ära.
Am kommenden Wochenende kommt es zum endgültigen Test. Beim
familiären Ranch-Talk mit dem politisch aufgebrauchten US-Präsidenten
George W. Bush werden schöne Western-Fotos nicht genügen. Im Irak
führten die USA die Welt in ein Schlamassel. Im Iran drohen Bushs
Leute mit einer ähnlich katastrophalen Initiative. Klimapolitisch
steht die US-Regierung im Blockade-Lager. Verantwortung einer
Weltmacht sieht anders aus. Von Merkel ist bei Bush Klartext zu
erwarten - öffentlich, und nicht nur privat abends am Lagerfeuer. Die
Zeit der Show in der Außenpolitik ist vorbei.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung