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Westdeutsche Zeitung: Der designierte SPD-Chef Gabriel sollte selbstkritischer sein

Archivmeldung vom 23.10.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.10.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der designierte SPD-Parteichef als "Erzengel Gabriel" inszeniert. Seine Brand-E-Mail an einige Genossen ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Richtig ist, dass der Zustand der deutschen Sozialdemokratie katastrophal ist. Allzu viel Phantasie oder Mut brauchte man für eine solche augenscheinlich schonungslose Analyse allerdings nicht. Mutiger ist da schon er Hinweis des 50-jährigen Noch-Umweltministers, erst nachfolgende Generationen würden die Früchte seiner Arbeit ernten - und daher habe sein Engagement auch nichts mit Karrierestreben zu tun. Wer's glaubt, wird selig.

Es fallen einem nur wenige Politiker ein, die so konsequent wie Gabriel ihre Karriereziele verfolgen und dafür ihre inhaltlichen Positionen wechseln wie Unterhemden, je nachdem, woher gerade der politische Wind weht. Abgesehen davon ist der Hinweis auf die nachfolgenden Generationen ziemlich übertrieben. Will Gabriel uns damit etwa sagen, die SPD werde wieder einmal 16 Jahre in der Opposition bleiben müssen? Keiner kann heute seriös sagen, wie die Situation 2013 ist. Eine einzige rot-rot-grüne Koalition in einem westlichen Bundesland als Referenz-Projekt würde doch genügen für eine neue Machtoption des linken Lagers - zumal dann, wenn der Populist und SPD-Hasser Oskar Lafontaine in der Linkspartei nichts mehr zu sagen hat.

Gabriel geht es zuerst darum, bei der Basis zu punkten und auf dem Parteitag Mitte November in Dresden ein gutes Wahlergebnis zu erzielen. Der Applaus ist ihm sicher, wenn er den Führungsstil des Noch-SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering kritisiert und mehr innerparteiliche Demokratie anmahnt. Richtig ist auch, dass die Spaltung der SPD in verschiedene Gruppen überwunden werden muss. Allerdings sollte sich Gabriel zuerst einmal an die eigene Nase fassen. Es passt einfach nicht zusammen, bei wichtigen Entscheidungen Urabstimmungen zu fordern, wenn man sich zuvor in Hinterzimmer-Gesprächen als Parteichef hat installieren lassen. Und stand Gabriel nicht selbst jahrelang an der Spitze der pragmatischen "Netzwerker" - eines jener Grüppchen also, die er jetzt kritisiert?

Aus dem Hebräischen ließe sich "Gabriel" als "Held Gottes" übersetzen. In diesem speziellen Fall sollte man es lieber lassen.

Quelle: Westdeutsche Zeitung

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