WAZ: Immer mehr arme Kinder: Von der Kultur des Stärkens
Archivmeldung vom 16.11.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.11.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDass zu viele Kinder nur bei der Mutter aufwachsen; obendrein in einer beengten Wohnung; sozusagen von der Hand in den Mund leben: Die Medien werden nicht müde, über arme Kinder zu berichten. Die Sozialverbände geben nicht auf, zu klagen, die Politik hat die stetig zunehmende Zahl dieser Kinder durchaus im Blick.
So wissen wir längst: Die so genannten prekären Verhältnisse, in
denen viele Kinder groß werden müssen, machen sie dumm, krank und
dauerhaft arm. Dumm, weil unser Bildungssystem Kinder der
Unterschicht zu seinen Verlierern macht. Krank, weil sie sich
schlecht ernähren, seltener zum Arzt gehen, weniger umsorgt werden.
Dauerhaft arm, weil sie häufig ohne oder mit einem schlechten
Schulabschluss keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
Man muss darüber klagen, dass die Hartz-IV-Sätze für Kinder zu
niedrig sind, nicht ihren wirklichen Bedürfnissen entsprechen. Man
muss Sozialverbände loben, dass sie Mittagessen für arme Kinder
bereitstellen. Dass sie Hausaufgabenhilfe bieten. Man kann dann auch
wieder klagen, dass es viel zu wenig von diesen Projekten gibt, die
Kinder stärken sollen.
Am besten aber können dies die Eltern tun. Sie können den Kindern
beibringen, die Schule wichtig zu nehmen. Sie können dafür sorgen,
dass der Alltag geregelt wird. Sie können ihren Kindern Mut und
Selbstvertrauen geben. Ihnen den Rücken stärken mit dem festen
Willen, das Kind solle es mal besser haben als man selbst.
Stattdessen bleiben Kinder immer häufiger sich selbst überlassen,
weil die Eltern zu sehr mit ihren eigenen Schwierigkeiten beschäftigt
sind und weil das Bildungs- und Erziehungssystem sie nicht auffängt.
Dies war vor Jahrzehnten anders. Schließlich gingen aus der armen
Nachkriegsgeneration Wirtschafts- und Politgrößen hervor. Menschen,
die wie Altkanzler Schröder von einer Kriegswitwe großgezogen wurden
- und zwar durchaus in prekären Milieus -, machten mit solidem
Hauptschulabschluss, Lehre, Abendgymnasium und spätem Studium
Karriere. Mit eisernem Willen, aber auch großer Unterstützung der
Familie.
Immer mehr Eltern schaffen es nicht mehr, ihren Kindern diesen Willen zu geben. Sie haben ja selbst keinen mehr. Die Kultur des Stärkens in der Familie ist nicht mehr selbstverständlich. Womöglich ist dies eine wesentliche Ursache für die Bildungs- und Erziehungsmisere. Weil unser System nur mit einer starken Familie funktioniert.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung