Mittelbayerische Zeitung: Traurige Saga
Archivmeldung vom 16.12.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGroßbritannien und Europa, das war schon immer eine schwierige Beziehung: ein Verhältnis, das sich nicht gebessert, sondern stetig verschlechtert hat. In den letzten zehn Jahren haben sich die Briten immer deutlicher von der Europäischen Union abgewendet. Und nachdem Premierminister David Cameron mit seinem Veto gegen einen neuen EU-Vertrag das Königreich in Europa völlig isoliert hat, wird jetzt das jüngste Kapitel einer traurigen Saga geschrieben.
Es hat wohl nicht geholfen, dass den Briten zweimal - damals jeweils durch ein französisches Veto - die Tür vor der Nase zugeknallt wurde, als sie sich 1961 und 1963 um den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft bewarben. Erst 1973 wurde Großbritannien Mitglied. Die leidenschaftliche Debatte allerdings, ob das Land nicht besser allein dastünde oder aber seine Souveränität mit den europäischen Nachbarn teilen solle, hat damit nicht aufgehört. Sie währt nun schon mehr als vierzig Jahre und hat an Intensität her zu- als abgenommen. Einen Lichtblick gab es, als 1997 Tony Blair in die Downing Street einzog. Er wolle Großbritannien "im Herzen Europas" verankern, versprach der frischgebackene Premierminister, und anfangs stimmte die Richtung. Blair gab das Opt-Out von der Europäischen Sozialcharta auf und zeichnete die Charta der Grundrechte. Doch sein Versprechen, das Land auf einen Beitritt zum Euro vorzubereiten, hat Blair nicht gehalten. Er wusste wohl, dass man mit dem Thema im Königreich keine Wahlen gewinnen kann. Vor einem Jahrzehnt sprachen sich noch 68 Prozent der Briten für einen Verbleib in der EU aus, während 19 Prozent sie verlassen wollen. Heute sind es 48 Prozent, die einen Austritt befürworten, während sich die Zahl der Europafreunde auf 33 Prozent verringert hat. Den Grund für die stetige Verschlechterung darf man einerseits bei einer zutiefst euroskeptischen Presse suchen, die keine Chance auslässt, das Verhältnis zur EU als einen ständigen Kampf um nationale Souveränität zu beschreiben: Europa als Bedrohung. Auf der anderen Seite hat sich die Konservative Partei mittlerweile ganz dem Euroskeptizismus verschrieben. Gab es vor einem Jahrzehnt noch ein gewichtiges europhiles Lager innerhalb der Tory-Fraktion, so ist sie heute ganz verschwunden. Keiner will mehr eine Lanze für Europa brechen. So ist auch zu erklären, dass David Cameron etwas tat, was er mittlerweile zu bereuen scheint: Großbritannien isoliert und marginalisiert zu haben. Selbst Margaret Thatchers anti-europäischen Ressentiments haben nie die Oberhand über eine politische Binsenweisheit gewonnen: Dass man nämlich mit am Tisch sitzen muss, wenn entschieden wird. Camerons Instinkte dagegen haben unter dem permamenten anti-europäischen Klima in seiner Partei gelitten. Das bewies er schon 2009, als er entschied, dass die Konservativen die EVP verlassen, die Gruppierung zumeist christdemokratischer Parteien im Europaparlament. Das war ein erster Schritt in die Isolation. Die Konsequenzen seines Vetos müssen ihn jetzt erschrecken, nachdem ihm seine Freunde in der City sagen, dass er mit einer Blockadepolitik weit weniger Chancen hat, schädliche Regulierungsinitiativen für die britische Finanzindustrie abzuwehren. Ihm mag in den Ohren klingen, was George Orwell schon vor einem halben Jahrhundert prophezeite: "Die Insularität der Engländer, ihre Weigerung, Ausländer ernst zu nehmen, ist ein Wahnwitz, für den von Zeit zu Zeit teuer bezahlt werden muss."
Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)