Westdeutsche Zeitung: Kanzlerin Merkel zum Staatsbesuch beim US-Präsidenten
Archivmeldung vom 08.06.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.06.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist nicht alles zum Besten bestellt in den Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Trotzdem wird Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits zum zweiten Mal innerhalb von nur 18 Monaten von Washington umworben und hofiert. Ist dies als Kompliment zu werten? Oder verbirgt sich hinter Präsident Obamas großzügiger Einladung, Merkel mit der höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten zu ehren, ein kühl kalkulierter politischer Schachzug? Etwa, um dem wichtigsten europäischen Verbündeten neue Konzessionen abzuringen?
Die Bedeutung Deutschlands und die Notwendigkeit intakter bilateraler Beziehungen ist für die USA unbestritten. So hat kein anderes europäisches Land über viele Jahre die US-Streitkräfte in Afghanistan so tatkräftig unterstützt wie Deutschland. Auch ist Obama auf deutsche Hilfe im Kampf gegen Irans Nuklearprogramm angewiesen. Hinzu kommt, dass trotz des unterschiedlichen Temperaments der Präsident großen persönlichen Respekt für die Kanzlerin hegt und etliche Gemeinsamkeiten sieht. Beide mussten erhebliche Hürden nehmen, um an die Spitze zu gelangen und damit Geschichte zu schreiben: Merkel als erste Kanzlerin, die zudem noch aus der früheren DDR stammt. Obama als erster afro-amerikanischer US-Präsident. Solche Biografien verbinden.
Doch es gibt auch vieles, was die Regierungen in Washington und Berlin dieser Tage voneinander trennt, insbesondere die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat über die militärische Intervention in Libyen. Auch wird Merkels Chefdiplomat Guido Westerwelle in Washington als Leichtgewicht angesehen, während man den Rücktritt von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bedauert. In Summe mögen sich Pro und Contra die Waage halten.
Die Argumente für jene fürstliche Behandlung, in der sich die Kanzlerin sonnte, sind vorwiegend politischer Natur. Obama hofft, der Kanzlerin verschiedene Zusagen zu entlocken: Er will ein größeres deutsches Engagement in Libyen. Und er hofft, dass die Bundesregierung ihren Druck auf den Iran verstärken kann, sein Nuklearprogramm endlich offenzulegen. Spielt Merkel nicht mit, könnte es sehr lange dauern, bis ihr in Washington wieder der rote Teppich ausgerollt wird.
Quelle: Westdeutsche Zeitung