Allg. Zeitung Mainz: Eine knappe Mehrheit
Archivmeldung vom 31.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Mehrheit ist zwar denkbar knapp, aber es ist ohne Wenn und Aber eine, die sich da unter den türkischen Verfassungsrichtern dafür gefunden hat, die islamisch ausgerichtete Regierungspartei AKP, zur Zeit zumindest, nicht zu verbieten.
Bahnt sich da unter den bislang nur noch vom Militär in ihrem Sendungsbewusstsein übertroffenen Verfassungswächtern, Religion und Staat am Bosporus strikt zu trennen, ein Wandel an? Oder versuchen sie mit ihrem so nicht unbedingt erwarteten Urteil die extrem aufgeheizte Stimmung im Land zu beruhigen? Es sieht eher nach letzterem aus. Denn ein Verbot genau der Partei, die die letzten Wahlen so haushoch gewonnen hat, würde den Willen und das Empfinden der Menschen im Land völlig ignorieren. Wenn Millionen Frauen ihren Glauben auch damit zum Ausdruck bringen wollen, dass sie ein Kopftuch tragen, dies aber den politischen Vorgaben des Gründervaters der modernen Türkei, Kemal Atatürk, widerspricht, so kann das auf Dauer in einer Demokratrie nicht mit Verboten geregelt werden, auch wenn diese sich auf die Verfassung stützen. Wieviel Islam im öffentlichen Leben stattfinden soll und darf, muss die türkische Gesellschaft, wenn nötig, auch in langen und schmerzhaften Diskussionen ausloten und dann auch konsequent eine Verfassungsänderung vornehmen - wenn sich dann dafür auch wirklich die nötigen Mehrheiten finden. Das ist indes längst noch nicht ausgemacht. Die machtvolle Demonstration vom vergangenen Mai in Izmir für die Beibehaltung einer laizistischen Türkei sprach eine deutliche Sprache. Und die versteht vor allem die Armee besonders gut und handelt dann recht flott, wie ein Blick in die Geschichte des Landes zeigt.
Quelle: Allgemeine Zeitung Mainz