Schwäbische Zeitung: Die Würde des Amtes
Archivmeldung vom 04.01.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Demokratie - das liegt in ihrem Wesen - ist ein wechselhaftes Geschäftsmodell. Da werden Menschen, mal die falschen, mal die richtigen, zu mächtigen Akteuren, und früher oder später verlieren sie diese Macht wieder - und bisweilen auch das Ansehen. Seit Bestehen der Bundesrepublik gibt es aber zwei Konstanten, quasi ruhende Pole, in diesem hektischen Betrieb namens Demokratie. Das ist zum einen das Bundesverfassungsgericht, es ist zum anderen das Amt des Staatsoberhaupts.
Beide stehen traditionell über dem Parteienbetrieb, obwohl sich die handelnden Personen in der Regel aus ihm rekrutieren. Das über Jahrzehnte konstant hohe Ansehen von Verfassungsrichtern und dem jeweiligen Bundespräsidenten speist sich vor allem aus der Würde des Amtes. Die ist keine Schimäre, sondern Ausfluss von Respekt, Verlässlichkeit, Unbestechlichkeit. Es sind - ohne jedes Pathos - staatstragende Ämter und Funktionen.
Spätestens seit dem nach wie vor mysteriösen Rücktritt von Horst Köhler ist die Würde des Bundespräsidentenamtes angekratzt. Ein Staatsoberhaupt schmeißt doch nicht einfach die Brocken hin: So haben es viele Menschen empfunden, und dieses Empfinden wirkt nach. Und jetzt? Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Köhlers Nachfolger Christian Wulff sich nicht wird halten können. Man kann dahinter - nicht ganz unbegründet - eine Kampagne wittern, aber im Kern wäre der Präsident über ein Missverständnis gestürzt: Er selber hat die Würde seines Amtes nicht begriffen, ist nicht in sie hineingewachsen, hat sie folglich durch sein taktierendes, fast täppisches Verhalten beschädigt.
Leider ist diese Würde nicht automatisch wieder heil, wenn in absehbarer Zeit ein neuer Präsident gekürt wird. Wulff würde kleine Schuhe hinterlassen - zu kleine für das Ansehen des Amtes. Ein Stück bundesdeutscher Kontinuität ist verloren. Nicht eine Person, nur eine echte Persönlichkeit wäre in der Lage, das auszufüllen, was die Bürger von ihrem Präsidenten erwarten dürfen.
Quelle: Schwäbische Zeitung (ots)