Berliner Morgenpost: Die Steuerreform und das Blaue vom Himmel
Archivmeldung vom 18.01.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVielleicht hätten die beiden Parteien ihr Regierungsbündnis tatsächlich etwas sorgfältiger bedenken sollen, ehe sie sich kurz vor den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls die Hände reichten und zumindest vierjährige Treue schworen.
Vielleicht müsste man Wahlprogramme, die eigenen wie die der politischen Konkurrenz, auch nur etwas ernster nehmen. Wenigstens Lesen sollte drin sein. Vielleicht irren wir uns auch einfach nur, und alles ist Harmonie, Besprechungen unter Regierungspartnern wie gestern Nachmittag nicht mehr als eine für den reibungslosen Ablauf der Dinge notwendige Routine. Vielleicht. Ganz sicher aber ist, dass diese schwarz-gelbe Koalition nicht einmal 100 Tage nach ihrer Bildung sehr viel Kredit verspielt hat, nicht nur den eigenen, sondern auch einen Teil jenes Kredits, den die Bürger ihrer Demokratie immer wieder bestätigen müssen. In Krisenzeiten, und in denen befinden wir uns, so wacker wir uns auch halten, ist ein solch läppischer, gedankenloser Umgang mit den Grundformen unseres Gemeinwesens gefährlich. Es ist ja nicht so, dass nicht beide Parteien gute Argumente hätten. Natürlich müsste eine zukunftsorientierte Politik nach einem Jahr heftigster Staatsinterventionen in hohem Maße darauf bedacht sein, dieses Zuviel an staatlichem Eingriff schnell zurückzuschrauben. Bürger, aber auch Unternehmer brauchen jetzt Gelegenheiten, sich aus eigener Kraft wieder freizustrampeln, selbst zu wirtschaften und so die Möglichkeit von Fortschritt wiederherzustellen. Eine Steuerreform, die dazu einen Anstoß gäbe, Freiräume schaffte und Chancen, jenseits staatlicher Regulierung zu agieren, ist dringend geboten, mindestens aber wünschenswert. Andererseits sind die Bedenken derjenigen, die davor warnen, der Gemeinschaft Gestaltungsmöglichkeiten zu verkürzen, nicht einfach vom Tisch zu wischen. Wir wünschen uns bessere Schulen, niedrige bis gar keine Kita-Gebühren, höheres BAföG, besten Winterdienst, eine S-Bahn, die ihre Fahrzeuge pünktlich wartet und dabei die Fahrpreise attraktiv und günstig hält, ein neues Energiesystem für das Land, biologische, konkurrenzfähige, möglichst in Brandenburg produzierte Lebensmittel, also Subventionen, sowie ein künftig in stärkerem Maße steuerfinanziertes Gesundheitssystem auf möglichst hohem Niveau. Im Zweifel wünschen wir uns auch noch das Blaue vom Himmel. Man sollte also zusehen, dass bei aller Lust zur Steuerreform (und wer hätte nicht gerne mehr Geld in der eigenen Tasche, herrlich) ein paar Taler übrig bleiben, um auch diesen Wünschen wenigstens einigermaßen entgegenzukommen. Wie gesagt, diese Gemengelage war bekannt, bevor sich Union und FDP das Jawort gaben für die neue Legislaturperiode. Nun sind, endlich, gemeinsame Lösungen gefragt, die beide Anliegen und Argumente ernst nehmen. Dass die Koalitionsspitzen nach ihrem gestrigen Treffen nicht einmal Ansätze solcher Lösungen aufzeigen wollten, ist in diesem Zusammenhang eher ein Armutszeugnis.
Quelle: Berliner Morgenpost