Börsen-Zeitung: Abwarten und Beten
Archivmeldung vom 06.08.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWer von der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am morgigen Donnerstag Aufschluss über die in den kommenden Monaten womöglich anstehenden Schritte der Notenbank erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Denn weder EZB-Präsident Jean-Claude Trichet noch seine 20 Kollegen aus dem geldpolitischen Gremium wissen derzeit selbst, wohin die Reise gehen wird.
Inwieweit sie ihr Ziel, Preisniveaustabilität zu sichern, erreichen, hängt derzeit von Größen ab, die eine Notenbank nicht beeinflussen kann. Den entscheidenden Variablen vor allem Öl-, aber auch Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise können die Währungshüter nicht Herr werden. Sicher, nachdem im Juli die Rohölnotierungen von fast 150 auf gut 120 Dollar gefallen sind, ist der wohl wichtigste Preistreiber der vergangenen Monate weggefallen. Aber eine minimale Eskalation der politischen Situation im Nahen Osten oder eine weitere Verstaatlichungswelle in Lateinamerika könnten neue Höchststände generieren. Die EZB müsste dann wohl zähneknirschend akzeptieren, dass die zuletzt gemessene Inflationsrate von 4,1% nicht der Scheitelpunkt der Teuerungswelle gewesen ist.
Natürlich könnten die Währungshüter das ohnehin schwächelnde Wachstum im Euroraum niederknüppeln, sodass die übrigen Preise sinken und den Energiepreisanstieg ausgleichen. Das müsste dann aber ein gewaltiger Schlag sein. Nach Berechnungen der Deutschen Bank müsste das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,6% nächstes Jahr schrumpfen (alternativ -0,8% pro Jahr bis 2010), um bei der laufenden Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisinflation in die Zielzone von knapp unter 2% zurückzukommen. Die Bereitschaft des EZB-Rats, derart hohe Kosten in Kauf zu nehmen, dürfte ausgesprochen gering sein.
Und so zielte auch die Zinserhöhung Anfang Juli ausschließlich auf die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer und Tarifparteien. Es ging um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der EZB im Kampf gegen den Verlust der Kaufkraft. Einen konjunkturellen Dämpfer wollten die Währungshüter mit der Erhöhung um 25 Basispunkte auf nun 4,25% gar nicht erreichen.
Abwarten und beten, dass der Ölpreis weiter sinkt. Das dürfte den geldpolitischen Kurs der Notenbanker derzeit wohl am treffendsten charakterisieren.
Quelle: Börsen-Zeitung (von Jürgen Schaaf)