Börsen-Zeitung: Vergeigt
Archivmeldung vom 21.11.2017
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Freigeschaltet durch André OttHelmut Kohl hat die Europäische Zentralbank (EZB) nach Frankfurt geholt. Angela Merkel schaffte es nicht einmal, die EU-Partner für einen Umzug der vergleichsweise kleinen Regulierungsinstanz European Banking Authority (EBA) von der Themse an den Main zu gewinnen. "Germany: four points!" bedeutete das Aus schon in der zweiten Runde des ESC (Europäischer Standort-Contest). Der strahlende, im Finale freilich wie zuvor schon Amsterdam als Sitz der Arzneimittelbehörde EMA erst per Los ermittelte Sieger heißt Paris vor Dublin.
Wurde in Berlin vor lauter Sondierung übersehen, dass in Brüssel eine wegen der von ihr auf internationale Finanzdienstleister und deren Umfeld ausgehenden Symbol- und Sogwirkung höchst bedeutsame Entscheidung anstand? Diese bis zum Schluss in die richtige Richtung zu lenken, hätte den vollen Einsatz der Verantwortlichen erfordert. Dass Frankfurt das Rennen geradezu abgeschlagen verlor, deutet auf ein Versagen der Berliner Diplomatie hin. Denn "Bankfurt" wäre als EBA-Standort die "logische Wahl" gewesen. Mit der Kampagne "Frankfurt - the Natural Choice" hatte sich die Mainmetropole - natürlich nicht dank eines Alleingangs von Kanzler Kohl, sondern getragen von einer großen Koalition aus Politik in Bund, Land Hessen und Stadt Frankfurt, Wirtschaft und anderen Interessengruppen - in den neunziger Jahren gegen eine Vielzahl schwergewichtiger Mitbewerber als Sitz der EZB durchgesetzt.
Als - nicht zuletzt dank seiner geld- und währungspolitischen Rolle - kontinentaleuropäische Finanzhauptstadt beherbergt Frankfurt heute neben der "doppelten", auch für Bankenaufsicht zuständigen EZB und der Bundesbank Europas Versicherungsaufsicht EIOPA und den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken sowie Teile der nationalen Finanzaufsicht BaFin. In diesem regulatorischen und aufsichtlichen Kraftzentrum werden Synergien freigesetzt, wovon nicht nur dieser Finanzplatz selbst profitiert, sondern das europäische Finanzsystem als Ganzes. Hier wäre folglich auch die 2011 etablierte EBA, die nach dem Brexit nicht am künftigen Offshore-Platz London bleiben kann, perfekt aufgehoben gewesen. Die Konzentration der Behörden an einem Standort hätte es vor allem auch leichter gemacht, eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages die interessenkonfliktträchtige Vermengung geldpolitischer und aufsichtsrechtlicher Verantwortlichkeiten in der EZB zu bereinigen.
Frankfurt hat ein Heimspiel verloren, das angesichts der wirtschaftlichen Logik relativ leicht hätte gewonnen werden können. Vergeigt hat es Berlin.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Bernd Wittkowski