LVZ: zu Köhler
Archivmeldung vom 29.12.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.12.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHorst Köhler ist für einen Bundespräsidenten mit einem ungewöhnlichen Anspruch angetreten. Er will ein Staatsoberhaupt sein, das sich nicht nur auf die Rolle des Repräsentanten beschränkt, sondern auch gestaltet, Alternativen nennt und aufzeigt, welche Richtung eine Bundesregierung auch einschlagen kann.
Damit geht er
einen Weg, den viele seiner Vorgänger gemieden haben, um nicht in den
Ruch der Parteilichkeit zu geraten.
Dass Köhler ein politisch handelndes Staatsoberhaupt ist und sein Amt
nutzt, hat er mittlerweile schon mehrmals bewiesen. So etwa in seiner
Grundsatzrede im vergangenen März. Als er Regierung, Opposition und
Tarifparteien aufforderte, dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
höchste Priorität einzuräumen. Berlin sollte dafür die Lohn- von den
Sozialkosten abkoppeln, Gewerkschaften und Unternehmer Zurückhaltung
bei den Gehaltsrunden üben.
Jetzt, noch bevor sich die Tariffronten im aufziehenden Konflikt
verhärtet haben, schlägt der Bundespräsident wieder in die gleiche
Kerbe. Gewinn- und Kapitalbeteiligungen für Arbeitnehmer sollen, geht
es nach ihm, ausgebaut werden. Damit hat sich Politiker Köhler in die
Tarifautonomie eingemischt, die bisher in der Bundesrepublik als
sakrosankt galt. Dieses Tabu ist nun von höchster Stelle gebrochen.
Das ist nicht tragisch. Vielleicht sogar gut. Denn Verdi und die IG
Metall lassen nach den Rekordgewinnen der Konzerne schon im Vorfeld
der Verhandlungen wieder die Muskeln spielen, während die Unternehmer
kräftig auf die Bremse treten. Ein altbekannter Vorgang, ein Ritual,
um die Claims abzustecken. Aber inzwischen vielleicht ein
überkommenes.
Denn Deutschland braucht intelligente Lösungen und Flexibilität.
Köhlers Vorschlag eignet sich daher als Initialzündung für die
überfällige Debatte um neue Wege beim Ausgleich zwischen Kapital und
Arbeit. Das zeigt die paradoxe Situation, dass inzwischen bei den
Beschäftigten in vielen OECD-Staaten mehr Geld in der Lohntüte bleibt
als in Deutschland, in der Bundesrepublik dagegen die Lohnkosten
trotzdem höher sind.
Im Klartext bedeutet dies für die Beschäftigten, dass sie auch
weniger Geld zum Konsumieren im Portmonee haben, während die
Unternehmen gleichzeitig schlechtere Margen als das Gros der
amerikanischen und europäischen Konkurrenz erzielen. Dieser gordische
Knoten muss durchgeschlagen werden, damit die Konjunktur anspringt.
Zumal die schwache Binnen-Nachfrage immer noch die Bremse beim
deutschen Wachstum ist.
Deshalb ist die Diskussion gut, die Köhler wiederbelebt hat und schon
in den 80ern geführt worden ist. Gewinn- und Kapitalbeteiligungen
würden den Tarifkonflikt entschärfen und den Betrieben mehr
Flexibilität verschaffen. In angelsächsischen Unternehmen ist das
schon lange gang und gäbe. Auch in einigen deutschen. Mit positiven
Erfahrungen. Warum also blocken, wenn branchenspezifische Lösungen zu
Wegen führen, die Unternehmen wettbewerbsfähiger machen und
Arbeitsplätze sichern?
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung