Balanceakt: Zur Autoindustrie
Archivmeldung vom 08.07.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićAuf Ebene der EU divergierende Interessen der vielen Mitgliedstaaten auszutarieren gehört zur hohen Kunst der Politik in der Gemeinschaft. Das gilt auch für das brisante Thema Klimaschutz im Allgemeinen und für den damit verbundenen Transformationsprozess der Autoindustrie im Besonderen.
Dass der Dachverband des wichtigsten Industriezweigs der deutschen Wirtschaft Sturm läuft gegen mutmaßliche Pläne der EU-Kommission, die Kohlendioxid-Emissionsgrenzwerte drastisch zu verschärfen, ist verständlich. Schließlich stehen die Geschäftsmodelle der Autohersteller BMW, Daimler und Volkswagen und ihrer zahlreichen Zulieferer im Visier der Brüsseler Behörde. Deren Interessen zu verteidigen gehört zu den Kernaufgaben des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
Ob es auf Basis neuer Gesetzentwürfe der EU-Kommission tatsächlich zu einem vorzeitigen Ende der Diesel- und Benzinmotoren kommen wird, wie VDA-Präsidentin Hildegard Müller befürchtet, ist zunächst offen. Die Erfahrung - auch in der EU-Politik - lehrt, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Will heißen: In der harten Auseinandersetzung um die Art und Geschwindigkeit des Umbaus der Autoindustrie in Richtung Elektromobilität schwingt die Kompromissbereitschaft mit. In dem Balanceakt zwischen ehrgeizigen politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Interessen haben sich die Beteiligten bislang immer auf Lösungen geeinigt, wenngleich zähneknirschend. Warum sollte es diesmal anders sein?
Klarheit darüber, was die EU-Kommission wirklich will, besteht erst dann, wenn sie Mitte kommender Woche ihr überarbeitetes Gesetzespaket für den Klimaschutz vorstellt. Dass dabei der Druck auf die deutsche Autoindustrie wächst, das Anpassungstempo zu erhöhen, dürfte aber mittlerweile allen Topmanagern in München, Stuttgart und Wolfsburg klar sein. Von Empörung in den obersten Konzernetagen war jedenfalls nichts zu hören. Im Gegenteil: Das Beispiel Audi zeigt, dass die ambitionierten Brüsseler Taktgeber durchaus Gehör finden.
Ganz gleich, wie die neuen Zwischenschritte auf EU-Geheiß ausfallen dürften, es ist tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis sich das Ende des Verbrenners abzeichnet. Derweil zeigt sich die VDA-Chefin weiter kämpferisch. Auf der Halbjahrespressekonferenz stimmte sie aber auch versöhnliche Töne an, wie das Thema Ladeinfrastruktur zeigt. Ohne ausreichende Ladekapazitäten sind die EU-Ziele eine Chimäre. Auf diesem Feld gibt es indes reichlich Nachholbedarf.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stefan Kroneck