Neue Westfälische (Bielefeld): Helmut Kohls Lebenserinnerungen
Archivmeldung vom 02.08.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittPolitikergattinnen stehen nicht in der Verfassung. In der Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung und Gerichtsbarkeit sind sie nicht vorgesehen und haben doch viel Macht. Diese wird meist erst in ihrer ganzen Dimension erkennbar, wenn Politiker sie zur Hüterin ihres Vermächtnisses erklären. Willy Brandt tat dies. Herbert Wehner heiratete dafür sogar seine Stieftochter. Stets verfolgen Politiker dabei das gleiche Ziel. Sie wollen über den Tod hinaus ihr Bild in den Geschichtsbüchern bestimmen können. Das Misstrauen gegen die politischen Freunde und Weggefährten ist so groß, dass sie nicht einmal ihrer eigenen Parteistiftung trauen.
So also auch Helmut Kohl. 630 Stunden redete er mit seinem Ghostwriter so offen, wie er es sich erlaubte. Doch der Nachwelt will er die Bänder vorenthalten. Wie lange, wissen nur Helmut Kohl - und Maike Kohl-Richter. Auch um sein Privatarchiv wird gestritten, das er nach seiner Abwahl der Adenauer-Stiftung übergeben hatte, 2010 dann aber in sein Privathaus bringen ließ. Merkwürdig für einen promovierten Historiker.
Südwest Presse: Urheberrecht
Helmut Kohl im O-Ton. 630 Stunden lang. Mal ehrlich: Wer hält das überhaupt aus? Schließlich durften wir 16 Regierungsjahre lang erleben, wie dieser Kanzler der Einheit alles an sich abprallen ließ. Ist es da so schlimm, dass das Oberlandesgericht Köln dem Altkanzler die volle Herrschaft über Tonbänder, die Grundlage einer Biografie sein sollten, zuspricht? Ja. Dass Helmut Kohl versucht, seinen Platz in den Geschichtsbüchern aktiv zu gestalten, ist zwar verständlich. Und dass ein Staatsmann, der offen mit seinem Biografen spricht, das eine oder andere nicht gedruckt sehen will, ist üblich. Doch was wirklich los war in der Zeit des schwarzen Riesen, das wollen viele zu Recht wissen - nicht nur Historiker. Seine Geschichte und sein politisches Vermächtnis gehören Helmut Kohl nicht alleine. Dafür ist er zu bedeutend. Sein Nachlass gehört nicht in einen Oggersheimer Keller, sondern in die Obhut einer Institution. Material, das für das Verständnis weltpolitischer Ereignisse wichtig sein kann, sollte zumindest der Fachwelt zugänglich sein - wenn nicht sogar allen. Das hat das Gericht mit seinem formal sicher zutreffenden Hinweis auf das Urheberrecht zu leicht vom Tisch gewischt. Kohls exzessiv zelebrierte Kontrolle - der Prozess um die Bänder gehört dazu - mag seinem eigenen Geschichtsbild schmeicheln, zementiert aber zugleich den bleiernen Nachgeschmack einer ganzen Ära. Doch selbst das wird er aussitzen.
Quelle: Neue Westfälische (Bielefeld) - Südwest Presse (ots)