Die Leipziger Volkszeitung zur Rente mit 67
Archivmeldung vom 10.03.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.03.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWas für ein Tag! Der mächtige Zyklon George ist gestern mit Windgeschwindigkeiten von 275 Kilometern pro Stunde über die Nordwestküste Australiens hinweggefegt. Und in Deutschland haben die Bundestagsabgeordneten die Rente mit 67 beschlossen - eine Zukunftsaussicht, die ebenfalls einen Wirbelsturm auslöst.
Da tauchen die gedanklichen Bilder vom
66-jährigen Dachdecker auf, der oben in der Höh malocht, vom
64-jährigen Arbeitslosen, der sich vom Wenigen eine Balalaika kauft,
um mit dem Spiel über die Runden zu kommen. Das mit der Balalaika war
übrigens ein Tipp von Bundessozialminister Franz Müntefering, als er
vor genau einem Jahr die Notwendigkeit begründete, zusätzlich für die
Alterssicherung zu sparen. Der war nicht ernst gemeint, ist aber übel
angekommen. Bei der Rente verstehen nicht viele Spaß.
Denn Rente - das ist Alterssicherung nach einem langen arbeitsreichen
Leben. Wer rüstig ist und wem der Job Freude macht, kann schon heute
über das gesetzliche Rentenalter hinaus tätig sein. Die Wirklichkeit
aber sieht so aus: Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt
bei 60,9 Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch.
Glücklich, wer mit über 50 noch einen Job hat. Wer die gesetzliche
Altersgrenze als Arbeitnehmer nicht erreicht, muss schon jetzt
schmerzhafte Abschläge in Kauf nehmen. Ändern sich die Bedingungen
der Arbeitswelt nicht, wird dies künftig noch mehr weh tun, wenn das
Rentenalter ab 2012 schrittweise angehoben wird und ab 2029 dann bei
67 Jahren liegt.
Sicher, es ist ehrlich und richtig, den späteren Eintritt ins
Rentenalter angesichts der demografischen Situation als
gesellschaftliche Notwendigkeit zu begründen. Weniger Kinder werden
geboren. Jugendliche gehen später in den Beruf. Die Menschen leben
länger, folglich muss insgesamt mehr Rente gezahlt werden. Aber dann
muss man vielleicht auch die Frage stellen, warum sich die Situation
so zugespitzt hat? Was ist in den vergangenen Jahrzehnten geschehen,
um das Klima in Deutschland kinderfreundlicher zu machen? Musste erst
Frau von der Leyen kommen, damit das Land öffentlich mehr über
fehlende Betreuungsplätze für den Nachwuchs diskutiert? Und was wurde
getan, damit Akademiker nicht erst in den Beruf starten, wenn sie
schon fast 30 sind? Jahrelange Stagnation der Wirtschaft und
politische Versäumnisse haben die Situation verschärft. Das rächt
sich - dieses Mal bei der Rentenversicherung.
Rentenpolitik ist zudem immer auch eine Generationenfrage. Wenn die
Beitragssätze zumindest bis 2020 nicht über 20 Prozent steigen
sollen, dürften das die Jüngeren noch verkraften. Sie müssen ohnehin
zusätzlich vorsorgen. Und: Rentenpolitik ist eine Angelegenheit des
Vertrauens. Dass gestern vom Bundestag zugleich ein Gesetz
verabschiedet wurde, um Beschäftigungschancen für ältere Menschen zu
verbessern, hört man gern. Es ist noch viel Zeit bis 2029. Aber: Die
Zeit der Illusionen ist vorbei.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung