Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Afghanistan-Akten
Archivmeldung vom 27.07.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWeltverbesserer, Aufklärer oder Verräter? Wer mehr als 90 000 zumeist geheime Militärakten zum Afghanistan-Einsatz ins Internet stellt, sollte ganz genau wissen, was er tut. Kriegsverbrechen aufdecken und zum Verständnis der Kämpfe am Hindukusch beitragen - so begründet der Australier Julian Assange sein Handeln. Damit bewegt er sich auf einem gefährlichen Pflaster.
Denn der Gründer der Internetplattform Wikileaks kann nicht ein Beispiel von Kriegsverbrechen nennen. Wenn er und seine Mitstreiter alle Akten, wie sie jetzt behaupten, geprüft haben, hätten sie auf mehr Konkretes stoßen müssen. Und auch die Medien, die alle Unterlagen vorab auf ihren politische und militärische Brisanz hin abgeklopft haben, kamen zu dem Schluss, dass die Akten nicht im Widerspruch zu den bisherigen offiziellen Verlautbarungen der Regierungen stehen. Das heißt, Beweise für klare Lügen ließen sich nicht finden. Dafür sind unbequeme Fakten in den Unterlagen aufgeführt. Offenbar gibt es mehr Opfer in der afghanischen Zivilbevölkerung, als offiziell zugegeben wird. An anderer Stelle sind Aussagen über die afghanischen Verbündeten zu finden: Einige seien unzuverlässig und korrupt, andere unterdrücken die eigenen Landsleute. Experten lesen auch aus den Dokumenten, dass der pakistanische Militärgeheimdienst ISI Extremisten in Afghanistan unterstützt. Und vom Gelände des deutschen Feldlagers in Masar-i-Scharif operiert die US-Einheit »Task Force 373«, die den Auftrag hat, gezielt Taliban-Führer festzunehmen oder zu töten. Deshalb mögen diese Einzelheiten schockieren - sie sind aber nicht neu. In Afghanistan herrscht Krieg. Dennoch kann die Veröffentlichung der Akten schlimme Folgen haben. Die Taliban können aufgrund der ausführlichen Berichte Rückschlüsse auf die Informanten der verbündeten Truppen ziehen. Auf Gnade darf niemand hoffen. Natürlich ist es für die US-amerikanische Regierung und ihre Verbündeten eine herbe Schlappe, dass die Dokumente überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt sind. Für Präsident Barack Obama wird es dadurch nicht leichter, um Unterstützung für den gefährlichen und verlustreichen Einsatz in Afghanistan zu werben. Obamas Sicherheitsberater James Jones nannte die Veröffentlichung der Akten gar »unverantwortlich«. Er sieht die nationale Sicherheit des Landes in Gefahr. Viel gelassener geht hingegen das deutsche Verteidigungsministerium mit der Veröffentlichung um: »Nichts Neues im Sinne des Nachrichtenwertes«. Die Wahrheit wird vermutlich - wie so oft - in der Mitte liegen. Immerhin räumt das Weiße Haus jetzt ein, dass sich die Sicherheitslage am Hindukusch verschlechtert habe. Das sagen die Bundeswehrsoldaten schon lange wieder, nur hören wollte das niemand. Hoffentlich wird ihnen jetzt geglaubt.
Quelle: Westfalen-Blatt