WAZ: Kosovo erklärt sich unabhängig
Archivmeldung vom 16.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKeine Frage - es gibt nicht nur gute Gründe für, sondern auch gegen die Unabhängigkeit des Kosovo. Aber die Argumente pro wiegen schwerer, das wichtigste ist das einfachste: Die Unabhängigkeit entspricht dem Willen des Volkes. Mehr als 90 Prozent der Einwohner wollen die Loslösung von Serbien, und nichts anderes.
Schon zu Titos Zeiten wurde den Kosovaren die Gleichberechtigung
verweigert. Milosevic errichtete dann ein Apartheids-Regime;
Hunderttausende verloren ihre Arbeit, Schulen wurden geschlossen,
Journalisten misshandelt, Medien dichtgemacht. 15 Jahre leisteten die
Kosovaren zivilen Widerstand. Das brachte ihnen viel Sympathie ein,
aber nicht mehr. Slowenien, Kroatien, Bosnien wurden unabhängig. Im
Kosovo verschärfte Belgrad die Unterdrückung.
Erst da gingen die Kosovaren zum bewaffneten Widerstand über. Der
Westen griff ein und verhinderte, dass aus einer "ethnischen
Säuberung" ein - nach Bosnien - weiterer Genozid wurde. Auf den
Rückzug der Belgrader Truppen folgten Massenflucht der Serben und
albanische Racheakte an denen, die blieben. Heute ist das Kosovo der
ärmste Flecken Erde in Europa, Niemandsland unter UN-Aufsicht.
Sämtliche Versuche mit einer Autonomie sind gescheitert. Eine
weitere halbgare Lösung würde nur für weitere Frustration und
Unsicherheit sorgen. Und die Serben würden weiter versuchen, die
Unabhängigkeit zu stoppen, statt sich im Kosovo und in Europa zu
integrieren. Das Kosovo gehört auch den Serben - aber denen, die im
Kosovo leben. Das kroatische Beispiel ist ermutigend: Auch dort
verweigerten sich die Serben zunächst. Jetzt sind sie längst dabei,
zurückzukehren und sich einzugliedern. Zur vollen Unabhängigkeit ist
das Kosovo noch nicht in der Lage. Politisch, wirtschaftlich und
intellektuell fehlt es an den Grundlagen. Auch die meisten Kosovaren
sind für eine "überwachte Unabhängigkeit".
Die Sorgen über einen Nachahmer-Effekt sind verständlich. Man kann
aber über Völkerrecht, territoriale Unversehrtheit und
Selbstbestimmung nicht rein theoretisch diskutieren. Es geht um
Menschen, nicht nur um Land. Und an diesem Punkt haben die Serben ihr
Recht verwirkt: Sie sind jeden Beweis schuldig geblieben, dass sie
gewillt sind, die Albaner als gleichberechtigte Bürger zu behandeln.
Der Autor, 38, ist kroatischer Staatsbürger kosovo-albanischer Herkunft, hat als Korrespondent die Kriege in Bosnien und im Kosovo verfolgt und arbeitet jetzt im Brüsseler WAZ-Büro.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Augustin Palokaj)