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WAZ: Nur ein kurzer, wilder Traum?

Archivmeldung vom 15.07.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.07.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

m deutschen Bücherherbst werden sie ganz oben liegen - die Reportagen und Bildbände vom arabischen Frühling. Die Titel griffig, der Inhalt zu Herzen gehend: Endlich sind die Völker aufgewacht, haben ihre Despoten davongejagt und ihre muffigen Staatsgebilde durchgepustet. Arabischer Frühling - so heißt seitdem die euphorische Chiffre für die großen Hoffnungsprojekte im Nahen Osten, für den endlich bewältigten Quantensprung der islamischen Kernregionen hin zu Modernität, Pluralität und Demokratie. Historisches Markenzeichen oder nur ein kurzer, wilder Traum - noch ist völlig offen, wie am Ende die Bilanz aussehen wird.

Inzwischen, sechs Monate nach der Flucht des tunesischen Diktators Ben Ali, ist die Begeisterung über die spektakulären Volkstriumphe in Tunesien und Ägypten weitgehend verflogen. Millionen junger Aktivisten beißen sich an den alten Seilschaften die Zähne aus. Islamisten beginnen mit intolerantem Eifer Unruhe zu säen. Und die verbliebenen Potentaten wehren sich mit aller Gewalt gegen ihren Sturz. In Libyen herrscht Bürgerkrieg, in Syrien Staatsterror, in Bahrain Grabesruhe und im Jemen Staatszerfall.

Mit Tunesien und Ägypten dagegen haben bisher nur zwei der 22 arabischen Nationen ihre Diktatoren erfolgreich abgeschüttelt. In den übrigen 20 Staaten dagegen - von gesellschaftlichem Frühling keine Spur. Stattdessen hat sich eine neue Achse der Beharrlichkeit herausgebildet - in Gestalt des illustren Golfkooperationsrates auf der Arabischen Halbinsel. Um ihr politisches Territorium zu arrondieren, wollen die reichen Emirate unter der Führung Saudi-Arabiens jetzt sogar die armen Monarchien aus Jordanien und Marokko in ihre antirevolutionären Zirkel aufnehmen. Ihren Verbund verstehen die Emire und Könige als Bollwerk gegen wachsende Mitsprache der Völker, freie Presse und freie Wahlen. Und sie sind entschlossen, jede Unruhe in der Bevölkerung zu beantworten - mit Sozialgeschenken, Polizeirazzien und Beugehaft für Kritiker. Niemand weiß, ob die heute geschriebenen Bücher über den arabischen Frühling nicht im nächsten Frühjahr bereits Makulatur sind.

Fazit: Die Demokratiebewegung in Ägypten ist entschlossen, sich das Heft nicht aus der Hand nehmen zu lassen und bietet nun dem Militärrat die Stirn. Sie ist damit das große Vorbild für die Proteste in der arabischen Welt. Ägypten hat das Potenzial, den beschwerlichen Weg in eine demokratischere Gesellschaft zu meistern - und wird hoffentlich viele andere mitziehen.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (ots)

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