WAZ: Wenn Arbeit krank macht
Archivmeldung vom 23.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittArbeit ist ein Segen für die Seele. Sie hat die Fähigkeit, Menschen glücklich zu machen. Doch Menschen werden auch krank durch Arbeit. Psychisch krank. Natürlich gibt es die, die am liebsten auf dem Sofa sitzen bleiben würden. Doch es sind wenige.
Die meisten
mögen diese erfüllten Tage, die Kollegen, das Verwirklichen von
Zielen. Wer keine Arbeit hat, sieht oft den Sinn des Lebens
schwinden. Arbeit kann uns aufbauen, doch sie kann uns auch
zerstören.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Hochmotivierte
Menschen, die in Berufen zuhause sind, die das Image des Traumberufs
(Lokführer) oder der Erfüllung (Arzt und Lehrer) tragen - diese
Menschen gehören zu denen, die am stärksten unter psychischen
Erkrankungen leiden. Aber auch andere trifft es: Kassiererinnen,
Möbelverkäufer oder Polizisten.
Wir können lange über Arbeitsbedingungen sprechen. Über
unregelmäßige Arbeitszeiten und Überlastung. Alles ist richtig. Aber
war Arbeit früher einfacher? Körperlich nicht. Da wurde an Hochöfen
geschuftet, im Stahlwerk, unter Tage. Berufskrankheiten wie
Steinstaublunge waren lebensbedrohend. Seelisch aber waren die
meisten gesund. Sie sahen Sinn in ihrer Arbeit.
Heute beherrscht die Sorge, den Job zu verlieren, das
Arbeitsleben. Oder die Angst, beim "Multitasking" zu patzen, und es
einfach nicht zu schaffen: alles auf einmal und am besten alles
sofort. Die Aufgaben werden mehr. Aber das ist kein Grund, depressiv
zu werden. Es könnte eine Chance sein.
Statt stupides Abarbeiten wird Neues angeboten. Es wäre ein
Erfolgsrezept der Motivation. Der Mensch ist extrem leistungs- (sogar
leidens-)fähig. Er legt sich für seine Arbeit krumm. Nicht nur einst,
unter Tage. Auch heute: Ärzte, Lehrer, Lokführer - aber auch die, die
im Büro bereit sind, Nächte durchzuarbeiten, wenn es das Projekt
verlangt. Viele tun es gerne. Unter einer Bedingung: dass ihre
Arbeitsleistung - und sie selbst - Wertschätzung erfahren.
Kollegen, Patienten, Kunden - wir alle können dazu beitragen,
dass sich Menschen mit ihrem Einsatz anerkannt fühlen. In erster
Linie jedoch ist Anerkennung Chefsache. Ein Lob ist oft mehr Wert als
Geld. Warum also loben Chefs so selten? Weil es ihnen geht wie
vielen, weil sie oft den Menschen hinter der Aufgabe vergessen. Das
zu ändern, ist das Rezept, Seelen zu retten.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung