BERLINER MORGENPOST: Die Liberalen brauchen einen neuen Kapitän
Archivmeldung vom 17.12.2010
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.12.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWelch ein Scherbenhaufen. Innerhalb eines Jahres hat die FDP fast alles Vertrauen verspielt, das ihnen die Wähler geschenkt hatten. Um rund zehn Prozentpunkte sind die Liberalen in ihrem ersten Regierungsjahr abgestürzt. Wie ein Menetekel türmt sich vor ihnen die Fünf-Prozent-Hürde auf, die zu reißen alle parlamentarischen Hoffnungen begraben würde. Dazu ein Parteivorsitzender, der derzeit in der Popularitätsskala ganz unten steht.
Der für die Liberalen nichts mehr reißt, sondern zum Klotz am Bein geworden ist. Guido Westerwelle, der sich schon vor Jahren mit seinem "Guido Mobil" und der "18" unter der Schuhsohle der Lächerlichkeit anheimgegeben hatte, hat sich auch in Regierungsverantwortung als gefährliches Leichtgewicht entpuppt. Er hat, das stimmt, im September letzten Jahres das Rekordergebnis für die Liberalen eingefahren. Das allerdings war weniger der eigenen Leistung als dem Frust über CDU und CSU geschuldet. Im Rekordtempo hat er diesen Vertrauensvorschuss der Wähler verspielt. Dazu auch die eigene Glaubwürdigkeit. Außenminister in Deutschland - egal aus welcher Partei - waren für sich selbst und ihre Partei immer ein Pfund, mit dem zu wuchern war. Westerwelle ist der erste, der das nicht kann. Er ist Opfer der eigenen flotten Sprüche. Mit einer "geistig moralische Wende" wollte er im Übermut des 18. September 2009 die Deutschen beglücken. Auch mit mehr Netto vom Brutto und größerer Selbstverantwortung des Einzelnen. Nichts davon ist eingetreten. Kapitän auf dem Schiff unter schwarz-gelber Flagge wollte er sein, weil halt einer alles regeln müsse. Dass er das wirklich kann, wird an der Parteibasis schon länger bezweifelt. Nun mehren sich die sehr kritischen Stimmen auch aus Kreisen der liberalen Führungsebene. Sie brechen ihr lange unterdrücktes Schweigen, seit Westerwelle selbst die Vertrauensaffäre um seinen Büroleiter im Zusammenhang mit Wikileaks und dem US-Botschafter in Berlin stümperhaft zu bagatellisieren versuchte. Doch Leichtmatrose statt Kapitän. Den Schneid werdet ihr mir nicht abkaufen, rief er im März beim Parteitag in Siegen Journalisten vor der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen zu. Wer so arrogant wie Westerwelle startet und dann einen Fehler nach dem anderen macht, der bringt sich selbst um den Schneid. Nun zeigt er sich auch noch als außenpolitischer Dilettant. Wer wie er gestern im Bundestag ohne Einschränkung verkündet, 2014 wird es keine deutsche Kampftruppe mehr in Afghanistan geben, der sollte Nachhilfe in Diplomatie und Verhandlungstaktik nehmen. Weil er die Taliban einlädt, vier Jahre abzuwarten, um dann mehr oder weniger kampflos die Macht im Lande wieder zu übernehmen. Wozu war dann der Einsatz am Hindukusch überhaupt gut? Deutschland braucht die Liberalen. Und die brauchen einen Vorsitzenden, der Vertrauen gewinnt. Guido Westerwelle hat dies verspielt. So total, dass Wiedergutmachung ausgeschlossen scheint. Seine Kritiker in den eigenen Reihen versuchen zu Recht, den liberalen Scherbenhaufen nicht noch höher werden zu lassen. Guido Westerwelle sollte ihnen zuvorkommen. Und einsehen, dass aus ihm nie ein Genscher, nicht einmal ein Kinkel wird.
Quelle: BERLINER MORGENPOST