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Westfalen-Blatt: zu 70 Jahre NRW

Archivmeldung vom 24.08.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.08.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Sind Sie auch schon so in Feierlaune? 70 Jahre NRW, das ist doch was! Nein? Seien wir ehrlich: Zu patriotischen Hochgefühlen bietet der runde Geburtstag des Bindestrichlandes keinen Anlass. Auch sieben Jahrzehnte haben es nicht vermocht, im bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich immer noch stärksten Bundesland so etwas wie eine gemeinsame Identität zu stiften. Rekord-Ministerpräsident Johannes Rau hat es in seiner 20-jährigen Amtszeit zumindest mit dem Slogan »Wir in NRW« einmal versucht. Durchgesetzt hat sich ein Wir-Gefühl nicht.

Aber warum? Die Briten führten das nördliche Rheinland und Westfalen 1946 mit der »Operation marriage« zusammen, weil sie das Herz der deutschen Schwerindustrie, das Ruhrgebiet, nicht aufspalten wollten. Und da der Pott nun mal zur Hälfte westfälisch, zur Hälfte rheinisch ist, entstand Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig hoffte man unter Einbeziehung ländlicher Regionen, die durchaus vorhandene Angst vor einem kommunistisch dominierten Ruhrgebiet bannen zu können. Es war also eine Zweckehe, und sie ist es in vielen Teilen geblieben.

Der Westfale fühlt sich bis heute regelmäßig von »denen da in Düsseldorf« benachteiligt, wenn es etwa um die Landesentwicklung und die Verteilung von finanziellen Ressourcen geht. Und der Rheinländer interessiert sich schlichtweg nicht für das, was jenseits des Ruhrgebietes passiert. Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker hat Westfalen sogar als »DDR von NRW« bezeichnet, weil bei der Gründung des Bundeslandes »für Westfalen nix übrig blieb« - kein Regierungssitz, keine Rundfunkanstalt, keine Zukunftsindustrie.

In derlei althergebrachten karnevalistischen Frotzeleien steckt ein Fünkchen Wahrheit. Der lautsprecherische Rheinländer weiß sich halt besser zu verkaufen als der zur Wortkargheit neigende Westfale - auch noch im 21. Jahrhundert. Dabei sind es OWL, Sauer- und Siegerland sowie das Münsterland, die wirtschaftlich überdurchschnittlich stark sind. Während NRW insgesamt wegen des seit Jahrzehnten im Strukturwandel feststeckenden Ruhrgebiets im Ländervergleich bei der wirtschaftlichen Entwicklung blamabel schlecht abschneidet, stehen die drei westfälischen Regionen dank des kraftstrotzenden Mittelstandes richtig gut da. Erst in den vergangenen Jahren hat man dies in den rheinischen Schaltzentralen wahrgenommen.

Unter dem Strich bieten 70 Jahre NRW wenig Grund zum Feiern, sollten jedoch Anlass zum Nachdenken geben. Denn das größte Bundesland kann mehr, müsste eigentlich aufgrund seiner kulturellen Vielfalt, seiner Wirtschaftskraft und Hochschullandschaft wie einst zu Wirtschaftswunderzeiten Motor der Republik sein. Davon ist es weit entfernt.

Quelle: Westfalen-Blatt (ots)

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