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Börsen-Zeitung: Ritt über den Bodensee

Archivmeldung vom 02.09.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Martin Blessing wird wohl noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis die Investoren bereit sind, die "ökonomische Logik" dieser Übernahme zu honorieren. Mit einem Kursrutsch von mehr als 10% reagierte die Aktie der Commerzbank zum Wochenbeginn auf die Konditionen, zu denen die Allianz ihr Sorgenkind Dresdner Bank an die Gelben verkauft - eine Klatsche.

Zu teuer, diese Akquisition? Ja und nein. In Zeiten einer schwelenden Finanzkrise eine Bank zum Buchwert plus Besserungsschein von fast 1 Mrd. Euro loszuwerden ist in der Tat zunächst mal ein gelungener Deal aus Verkäufersicht.

Andererseits: Wenn sich denn wirklich die "einmalige Chance" bietet, durch eine Übernahme zur führenden Privat- und Firmenkundenbank in Deutschland mit mehr als 11 Millionen Kunden aufzusteigen, hätte es aus Käufersicht durchaus schlechtere Zeitpunkte und Bedingungen geben können. Geht demnächst die Bankenwelt unter? Trotz fast alltäglicher Schreckensnachrichten: wohl nicht. Dann aber stiege die Allianz vermutlich nahe dem zyklischen Tief bei ihrer Banktochter aus und ließe sich deren Aufwärtspotenzial entgehen - das bessere Geschäft hätte die Commerzbank gemacht.

Jenseits der finanziellen Details dieser Transaktion darf man auch mal notieren: Respekt, Commerzbank! Das Institut, das früher gerne damit kokettierte, unter den deutschen Großbanken die kleinste zu sein, hat innerhalb kurzer Zeit die Hackordnung im hiesigen Kreditgewerbe auf eine Weise umgekrempelt, wie man es sich noch vor wenigen Jahren nicht vorzustellen vermochte. Dazu gehören freilich immer mindestens zwei: ein Aufsteiger und ein Absteiger. Den undankbaren Part in diesem Spiel hat die Dresdner Bank übernommen. Auch hier gilt: Noch vor vielleicht zehn Jahren wäre das Szenario eines solchen Niedergangs mit tragischem Ende - Verlust von eigenständiger Existenz und Identität 137 Jahre nach Unternehmensgründung - als Hirngespinst verworfen worden.

Glorifizierte Konsolidierung

Nun kann allerdings Größe ebenso wenig Selbstzweck sein wie die vielzitierte Bankenkonsolidierung, die in Deutschland merkwürdigerweise in der Politik ebenso wie in Teilen von Wirtschaft, Wissenschaft oder Medien oft geradezu glorifiziert wird, übrigens trotz des hohen Preises, der dafür in Form von Arbeitsplatzverlusten zu zahlen ist. Was heißt denn "Konsolidierung"? Ein Wettbewerber wird aus dem Markt genommen, damit die anderen leichteres Spiel haben. Angesichts der hierzulande vorherrschenden Konkurrenzsituation wird das im aktuellen Fall nicht notwendigerweise zulasten der Kunden gehen. Aber die Begeisterung über eine Entwicklung, in der nicht selten sogar intakte Geschäftsmodelle dem Streben nach Größe geopfert werden sollen, ist schwer verständlich. Für die Beteiligten selbst kann Konsolidierung ohnehin nur sinnvoll sein, wenn sie mehr bringt, als sie kostet. Auch wenn diese Rechnung im Fall Commerzbank/Dresdner auf dem Papier aufgehen mag: Eine Übernahme, bei der auf der Ertragsseite nur Dissynergien durch die Verkleinerung des Geschäfts stehen, wirkt doch eher seltsam defensiv.

Nicht ohne Widersprüche

Auch sonst ist die Schaffung der "neuen Commerzbank" nicht frei von Widersprüchen. Erstens: Kaum wächst man durch die Übernahme in eine neue Dimension, schon soll die Bilanz bis 2011 um mehr als ein Viertel verschlankt werden. Zweitens: Hinsichtlich internationaler Präsenz und der Aktivitäten im Investment Banking kann man, anders als im Privatkundengeschäft, auch nach der Verschmelzung nicht mit der Deutschen Bank mithalten, trotzdem wird gerade Dresdner Kleinwort geschrumpft. Drittens: Die Allianz muss mehr oder weniger offen eingestehen, dass sie als Bankeigentümer die falsche Adresse ist, dennoch behält sie die Oldenburgische Landesbank in ihrer Gruppe. Viertens: Die Allianz wird mit knapp 30% größter Aktionär der neuen Commerzbank (was durchaus die Fantasie anregen könnte, begann doch die Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz auch mal mit einer Schachtel). Doch dann erklärt Allianz-Chef Diekmann en passant, er gehe davon aus, die neue Bank als Großaktionär (nur?) "einen gewissen Weg lang" zu begleiten.

Fünftens und nicht zuletzt: Die Commerzbank entschließt sich, um besagte "einmalige Chance" wahrzunehmen, zu einer schrittweisen, fast 10 Mrd. Euro teuren Übernahme, die sie sich mangels Finanzkraft auf einen Rutsch nicht leisten kann. Und wenn sich die Aktionäre - darunter dann allerdings schon mit 18,4% die Allianz - auf der außerordentlichen Hauptversammlung Anfang 2009 doch der "ökonomischen Logik" verweigern, dem zweiten Schritt zuzustimmen - dann will Blessing die Anteile einfach über die Zeit von der Allianz erwerben. Gegen den erklärten Willen der freien Aktionäre?

Der Deal ist nicht unbedingt zu teuer, aber er ist extrem komplex und mit hohem Risiko verbunden - er kann für alle Beteiligten zum Ritt über den Bodensee werden. Mit der Unterzeichnung des Kaufvertrags und der Zustimmung der Aufsichtsräte hat für Diekmann und Blessing der schwerste Teil der Strecke erst begonnen.

Quelle: Börsen-Zeitung (von Bernd Wittkowski)

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