Lausitzer Rundschau: Pflegereform tritt in Kraft
Archivmeldung vom 01.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke. Für die Pflegeversicherung gilt das in besonderem Maße. Rund zwölf Jahre mussten ins Land gehen, bevor sich die politischen Entscheidungsträger zu einer ersten Reform aufgerafft haben. Ab heute steht das neue Gesetz im Praxistest. Und es bedarf keiner prophetischen Gabe, um festzustellen, dass es schon bald wieder von der Wirklichkeit überholt werden dürfte.
Das hat zunächst einmal mit der schematischen Vorstellung von Pflege zu tun, die auch das reformierte Gesetz kennzeichnet. Wer im täglichen Leben fremder Hilfe bedarf, wird je nach Umfang seiner Bedürftigkeit in verschiedene Pflegestufen einsortiert. Darin ist genau festgelegt, wie viele Minuten das Pflegepersonal für die Körperpflege des Hilfsbedürftigen bis hin zur Verabreichung seines Essens jeweils aufwenden darf. Immer mehr Menschen passen aber nicht mehr in dieses Raster. Sie sind noch körperlich gut beisammen, doch der Verstand hält nicht mehr mit. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland weit mehr als eine Million Alzheimer-Kranke leben. Jedes Jahr kommen etwa 100 000 hinzu. Da ist es wenigstens ein kleiner Fortschritt, wenn die Zuwendung für altersverwirrte Menschen in der Pflegeversicherung künftig mehr Beachtung findet. Eine umfassende Neujustierung der Pflegeaufgaben steht aber noch aus. Erst im November soll eine Expertenkommission dazu ihren Befund vorlegen. So hat es die Bundesgesundheitsministerin verfügt. Falls Ulla Schmidt ihren selbst erteilten Auftrag ernst nimmt, müsste sie also noch in diesem Jahr für eine Reform der Reform werben. Der andere zentrale Schwachpunkt des neuen Gesetzes besteht in seiner halbherzigen Finanzierung. Heute ist bereits jeder vierte Bundesbürger 60 Jahre und älter. Bis 2030 wird sich der Anteil dieser Altersgruppe auf mehr als ein Drittel erhöhen. Damit steigt auch das allgemeine Pflegerisiko. Doch wie schon zu Beginn der Pflegeversicherung werden die Kosten weiter ausschließlich von den Beitragszahlern geschultert, also von den Arbeitnehmern und Angestellten. Sie müssen ab sofort tiefer in die Tasche greifen. Dabei wäre die Finanzierung die Sache aller Bürger. Schließlich handelt es sich um eine gesellschaftliche Herausforderung. All diese Umstände hätte die Große Koalition bei ihrer Reform berücksichtigen können, ja müssen. Doch am Ende lief das politische Tauziehen ganz nach dem Muster der unbefriedigenden Gesundheitsreform ab: Für einen großen Wurf fehlte der Großen Koalition die Kraft. Nach den Prognosen von Union und SPD soll die Finanzierungsgrundlage der Pflegeversicherung nun erst einmal bis 2015 gesichert sein. Die Rechnung basiert jedoch auf einer weiter überwiegend freundlichen Konjunktur. Mittlerweile gibt es dafür aber gegenteilige Anzeichen. Schon deshalb könnte die Pflegekasse wieder schneller auf der Tagesordnung stehen, als es Union und SPD lieb ist.
Quelle: Lausitzer Rundschau