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WAZ: Ein Täter macht sich selbst zum Opfer

Archivmeldung vom 02.03.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.03.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

"Was sagst Du denn jetzt Deinen Kindern über Ehrlichkeit und Anstand", fragt mich der 75-jährige Chef einer mittelständischen Düsseldorfer Brauerei beim Metzger. Eine Antwort wartet der aufgebrachte Mann nicht ab. "Ich hab meinen Sohn gefragt: Was wählen wir denn jetzt?" Der hat geantwortet: "Nichts." Die beiden haben nie eine andere Partei gewählt als die CDU. Am Tag nach dieser Szene tritt "KT", ihr gefallenes Idol, zurück.

Katharsis heißt es in der Literatur, wenn ein Ende, selbst ein blutiges, eine befreiende Wirkung hat. Karl-Theodor zu Guttenbergs Ende als Bundesminister der Verteidigung befreit leider nichts und niemanden. Auch die Opposition, SPD und Grüne, wird nicht profitieren. Sie haben Guttenberg gejagt, aber er ist nicht ihre Trophäe. Ein derartiges Phänomen, das eine ausweglose Niederlage markiert, heißt in der Literatur: tragisch. Es ist zuallererst Guttenbergs Tragödie. Sie ist sehr persönlich. Als Vater muss er seinen beiden Töchtern erklären, weshalb er nicht mehr Minister sein kann, sein darf. Was sagt er ihnen? Dass die Anderen Schuld sind? Etwa die Medien? Sie, die aufdeckten, was er unbedingt geheim halten wollte: Lug und Trug mit dem akademischen Ehrentitel. Sie, die - mit Ausnahme von "Bild" - hart dieses missglückte Krisenmanagement, die Salamitaktik beim scheibchenweisen Zugeben des am Ende Unleugbaren, kommentierten? Sie, die diese beeindruckende Kunst der Inszenierung ausleuchteten, die am Ende zusammenbrach, weil nur ein uraltes Spiel gegeben wurde, das vom Kaiser, der nackt dasteht. Als Spitzenpolitiker war Guttenberg eine Projektion. Für seine vielen Fans der Wunschtraum schlechthin: So sollten bitte alle Politiker sein. Humorvoll, glamourös, unabhängig, schneidig, modisch, mutig, fotogen. Guttenberg lieferte die gewünschten Bilder gleich im Reihenabwurf: vom Times Square in New York (da nahmen viele Redaktionen die Allmachtsgeste noch als Ironie oder Scherz), aus dem afghanischen Wüstensand, aus der Minister-Maschine. Oft verstärkte seine leuchtende Frau den Lichteffekt, den sonst nur Königskinder auslösen. Guttenbergs Ende zeigt, dass der Sturz aus luftiger Höhe weitaus härter ausfällt als der aus Erdnähe. Nicht die Medien haben Guttenberg gestürzt, nicht die CDU, obschon zuletzt immer mehr Spitzenleute auf Abstand gingen, nicht die CSU, die vielleicht sein größtes Opfer ist, weil ihr einstweilen nur noch Seehofer bleibt, schon gar nicht SPD oder Grüne. Auch nicht jene Wissenschaftler und Intellektuellen, die sich von ihm beschämt und verhöhnt vorkamen. Sicher: Beigetragen haben alle irgendwie dazu, aber gestürzt hat am Ende Guttenberg nur sich selbst. Wie das? Er lebte davon, anders zu sein. Ehrlich, anständig, offen, unverstellt. Authentisch. Sein eigener Betrug (war es auch ein Selbstbetrug?) zerstörte, wovon er lebte. Deshalb hat ihn auch die FAZ fallen lassen, nicht obwohl, sondern gerade weil sie sich als konservativ versteht und diesen fortlaufenden Verstoß gegen konservative Anschauungen und Werte nicht verteidigen mochte. Guttenberg ließ sich gern konservativ nennen, Konservative, auch Minister, nannten ihn am Ende, vertraulich, einen Verräter. Weil er, der Täter, sich zuletzt auch noch, wie unverfroren, als Opfer gab. Ein politischer Selbstmörder sozusagen, der die anderen als Mörder bezichtigt. Viele Menschen, da machen sich auch Journalisten nichts vor, werden es anders sehen, etwa so: Da hat das graumäusige Establishment einen hinweggerafft, den es als Lichtgestalt für unerträglich hielt. Es steht also zu befürchten, dass der Abstand zwischen jenen, die so denken, und den Politikern, deren Ansehen wohl noch nie so niedrig war wie heute, noch wächst. Guttenberg hat nichts getan, um dem entgegenzuwirken. Auch gestern nicht. Er blieb uneinsichtig selbst im Abgang. Ein Verteidigungsminister, der verbrannte Erde hinterlässt. Eine Krise, die über das bürgerliche Lager weit hinausreicht. So viel Ratlosigkeit war nie.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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