Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Kulturhauptstadt Essen
Archivmeldung vom 08.01.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAls Kulturhauptstadt Europas misst sich Essen 2010 mit Istanbul. Das ist auf den ersten Blick so, als wenn in der 1. Fußball-Bundesliga der VfL Bochum gegen Bayern München spielt. Auf der einen Seite die brodelnde Metropole am Bosporus, Schmelztiegel der Kulturen auf der Grenze zwischen Orient und Okzident.
Eine Stadt mit grandiosen, weltberühmten Bauwerken wie der Hagia Sophia in ihren Mauern. Auf der anderen Seite Essen: Wenn Ausländer diese Stadt überhaupt kennen, dann fallen ihnen vermutlich nur Kohle und Stahl ein. Eine Region, geprägt durch Zechensterben und Arbeitslosigkeit. Graue Maus kontra glitzernde Perle: Die Ausgangsbedingungen könnten also nicht unterschiedlicher sein. Ist deshalb der Misserfolg für Essen programmiert? Keineswegs! Denn entscheidend für den Erfolg einer Kulturhauptstadt ist nicht die Zahl der Gäste aus dem Ausland. Entscheidend sind die Auswirkungen auf die Infrastruktur in der Region und auf das Selbstverständnis der Menschen. Für 53 Städte und Gemeinden, in denen fünf Millionen Männer, Frauen und Kinder leben, wird 2010 garantiert zum Erfolg. Das Programm zum Hauptstadtjahr beschleunigt den Wandel des Ruhrgebietes vom Hochofen der Vergangenheit zum Kulturzentrum der Gegenwart über Nordrhein-Westfalen hinaus. Allein das Land NRW investierte gut 120 Millionen Euro in das Großprojekt. 50 Millionen davon stammen von der EU. Das Geld leistet einen Beitrag dazu, das schon jetzt imposante Kulturangebot der Region zu erhalten und noch auszubauen. Und das in einer Zeit, in der die Kommunen unter dem Druck wegbrechender Steuereinnahmen den Rotstift bei Theatern und Museen ansetzen. Schon jetzt gibt es zwischen Duisburg und Dortmund fünf Musiktheater, sieben Schauspielhäuser, sechs Sinfonieorchester, knapp 250 Sammlungen und Museen. Die Region glänzt mit dem Gasometer Oberhausen, Europas höchster Ausstellungshalle, der ehemaligen Krupp-Residenz Villa Hügel und Festivals wie der Ruhrtriennale. Das ist ein Pfund, mit dem das Ruhrgebiet wuchern, mit dem es Touristen anlocken kann, auch wenn der äußere Schein nicht so glänzt wie in Istanbul. Gold wert ist der Status der europäischen Kulturhauptstadt für Essen auch aus einem anderen Grund: Das Wir-Gefühl der Menschen hat dadurch einen enormen Schub bekommen. Die Aussicht, nicht als sterbendes Industrierevier, sondern als moderne Region im Aufbruch präsentiert zu werden, stärkt das Selbstwertgefühl. Begeisterung gepaart mit dem sprichwörtlichen Organisationsgeschick der Deutschen, verspricht ein großartiges Erlebnis für das Ruhrgebiet und das ganze Land. Essen muss nicht das Schicksal der griechischen Stadt Patras fürchten, die als Europas Kulturhauptstadt 2006 floppte, weil ein überzeugendes Konzept fehlte. Das besitzt das Ruhrgebiet sehr wohl. Glückauf, Essen!
Quelle: Westfalen-Blatt