WAZ: Job-Verlagerung mit EU-Geld: Kleine Summen, große Bedeutung
Archivmeldung vom 27.01.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie betriebswirtschaftliche Vokabel „Entlassungsproduktivität” ist soeben zum Unwort des Jahres 2005 gekürt worden. Die Jury fröstelte angesichts der ökonomischen Kälte, mit der Arbeitsplatzabbau inzwischen als gewöhnliches Instrument der Unternehmensführung gehandhabt wird.
Die rhetorische Verbrämung
„Entlassungsproduktivität” verhöhnt all jene, die ihre Papiere
bekommen haben, um den Job bangen oder das diffuse Gefühl des
Ausgeliefertseins in Zeiten der Globalisierung kaum noch ertragen. In
diesem Klima der permanenten Unsicherheit gewinnen Worte von Managern
und Gesten der Politik doppelte Bedeutung. Auch die Frage der
EU-Subventionen bei Betriebsverlagerungen nach Osteuropa ist deshalb
ein solches Symbolthema.
Schon die bloße Vorstellung, bei der Produktionsverschiebung des
schwedischen Konzerns Electrolux vom traditionsreichen Nürnberger
AEG-Werk nach Polen könnten Millionen aus der EU-Kasse und damit
deutsches Steuergeld geflossen sein, erregt den Zorn vieler Menschen.
Fördern wir jetzt schon unseren eigenen Arbeitsplatzabbau?
Gewiss verzerrt die Wut hier die Dimensionen. Keine Firma wechselt
den Standort, um EU-Hilfen einzustreichen. Konzerne ziehen in der
Regel nach Osteuropa, weil dort niedrigere Löhne, einfachere
Steuersysteme und wachsende Absatzmärkte locken. So bitter es für
jeden Entlassenen klingt: Zu einem freien Wettbewerb gehört auch die
permanente Suche nach den besten Produktionsbedingungen. Manager sind
den Zwängen des Wettbewerbs und dem Druck der Kapitalmärkte
ausgesetzt. Tröstlich bleibt, dass durch manches Auslandsengagement
deutscher Firmen auch neue Jobs im Inland entstehen oder erhalten
bleiben. Unter dem Strich profitiert Deutschland als
Exportweltmeister vom schrankenlosen Europa und dem rasch wachsenden
Wohlstand der potenziellen Kunden in Polen, Tschechien oder der
Slowakei.
Gerade weil die Wirtschaft diesen eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt,
ist es nicht nachvollziehbar, warum bei Betriebsumzügen auch noch
Brüsseler Subventionen fließen müssen. Studien zufolge verpufft
ohnehin ein Großteil der EU-Standortförderung. Firmen, die umziehen
wollen, machen die Wahl ihres Sitzes nicht zuerst von Beihilfen
abhängig. Die EU-Kommission behauptet zwar tapfer, reine
Stellenverlagerungen würden nicht gefördert. Doch die nationalen
Regierungen in Osteuropa können bislang recht freihändig darüber
entscheiden, wie sie einmal bewilligtes EU-Geld zur
Unternehmensansiedlung einsetzen. So wird das Standort-Hopping nicht
selten mit Begrüßungsprämien versüßt. Einen wirklich funktionierenden
Kontrollmechanismus, der diese reinen Mitnahmeeffekte bei der
Jobflucht aus der Alt-EU verhindert, gibt es nicht. Hier muss die
Brüsseler Bürokratie künftig auf jeden Euro schauen. Es geht um
relativ kleine Summen, doch sie entfalten große Symbolkraft.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung