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Westfalenpost: Zwei Deutschlands Hier Jubel, da politische Verstimmung

Archivmeldung vom 26.06.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.06.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es gibt in diesen Tagen zwei Deutschlands. Die gefühlte Wirklichkeit: Das ist die pure Freude über den Auftritt der Fußball-Nationalelf. Quer durch alle Schichten und alle Parteien. Deutschland einig Feierland: Geniessen wir es! All die Befürchtungen über Massenkrawalle im Umfeld der Weltmeisterschaft und über das frühe Ausscheiden "unserer" Jungs sind Schnee von gestern. Heute scheint die Sonne.

Politische Wirklichkeit: Das ist ein zähes Ringen um Reformen, um Deutschlands Zukunftsfähigkeit. In den Stadien und vor den Fernsehern sehen die Menschen eine Gute-Laune-Kanzlerin, der man die Begeisterung und das Mitfiebern abnimmt. Das andere Gesicht von Angela Merkel in den zur Regel gewordenen Sonntagabend-Koalitionsrunden können wir uns denken: Sorgenvoll, mitunter wohl auch etwas grantig. Wenn es statt des Glücksfalls WM um den Sanierungsfall Deutschland geht, wie sie die Finanzlage der Nation bezeichnete, ist Schluss mit guter Stimmung. Die Aufregung mancher SPD-Politiker über Merkels "Sanierungsfall" ist ein gutes Stück Aufplusterei. Wie sonst soll man die Handlungsnöte angesichts der unanständig hohen Staatsverschuldung nennen?
Deutlich wird jetzt aber auch: Außenpolitischer Glanz ist leichter zu erringen als innenpolitische Anerkennung. Merkel hat es bisher verpasst, der Reformdiskussion ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Kritik, dass sie sich über diesen Stempelaufdruck selbst nicht ganz im Klaren ist, kommt nicht von ungefähr.
Interview-Einwürfe wie die von SPD-Fraktionschef Struck, dass die Mehrwertsteuer-Erhöhung nicht notwendig gewesen sei und ihm ein entscheidungsfreudigerer Kanzler Schröder lieber wäre, sind ein Spiegel der Koalitions-Wirklichkeit. Es knirscht. Struck und einigen anderen Genossen, die nicht nur bei der Gesundheitsreform ihre Linie durchsetzen wollen sollte vielleicht noch einmal gesagt werden, dass die SPD die Wahl verloren hat.
Die Gefahr, dass unter der selbstgesetzten Terminnot vor den Ferien wichtige Reformen wieder einmal zu eiligen Murks-Kompromissen geraten, ist groß. Stoibers Vorschlag, die Entscheidungen über Gesundheitskosten und Unternehmenssteuern notfalls zu verschieben, ist nicht unvernünftig. Der noch größere Griff in den Steuersäckel um des Koalitionsfriedens willen wäre ein Vergehen an allem, was vor der Wahl gesagt wurde. Konsens ist gut. Reformen, die halten, was sie versprechen, sind besser.

Quelle: Pressemitteilung Westfalenpost

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