Rheinische Post: Emstetten und wir
Archivmeldung vom 21.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas ist wieder eine dieser Nachrichten, bei denen man erst mal Fassungslosigkeit niederkämpfen muss: Der Amokläufer von Emsdetten stammt nicht aus dem Problemviertel einer Moloch-Großstadt, sondern aus dem Münsterland, wo man die Welt noch in Ordnung wähnt. Wie, um Himmels willen, hätte man so etwas vorhersehen können?
Das Traurige ist: Man hätte. Der Täter war bekannt als Sonderling. Er
zelebrierte seinen Hass auf Menschen öffentlich, er liebte Waffen, er
drohte vielfach - es heißt: vor allem Mädchen und Kindern. Das Bild,
das sich abzeichnet, ist dies: Da driftete einer in die Neurose, in
eine düstere Innenwelt aus Gewaltphantasien, und keiner nahm es
ernst. Die Frage ist: Warum ging bei niemandem eine rote Lampe an?
So ist es Zeit, dass wir Abschied nehmen von der Arglosigkeit, auch:
von Gleichgültigkeit. Wir, das sind wirklich wir: wir Nachbarn, wir
Mitschüler, wir Freunde, wir Verwandte, wir Eltern, wir Lehrer. Es
liegt an uns, um Hilfe zu rufen und Alarm zu schlagen, wenn jemand in
die Einsamkeit driftet und sich dazu bis an die Zähne bewaffnet. Kein
Staat, keine Behörde der Welt kann leisten, was simples Mitgefühl
leistet: sehen, dass jemand den Boden unter den Füßen verliert und
zur Gefahr wird. Am Ende zählt dies: dass wir uns verantwortlich
fühlen. Erst danach kann die Hilfe des Staates erfolgreich sein.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post