Börsen-Zeitung: Gnadenfrist
Archivmeldung vom 09.01.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBei den Haltern von Staatsanleihen dürfte sich am Freitag Erleichterung eingestellt haben. Denn der mögliche Rutsch auf neue Kurstiefen ist ausgeblieben. Anders als nach den überraschend starken US-Arbeitsmarktzahlen vom November erwartet worden war, ist der Stellenabbau in der amerikanischen Volkswirtschaft im Dezember doch noch nicht zum Stillstand gekommen.
Nach der Bekanntgabe eines Abbaus von 85000 Stellen setzte sich die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen am Freitag wieder ein Stückchen von ihrem Drei-Monats-Hoch von 3,43% nach unten ab. Wahrscheinlich haben die Investoren aber nur eine Gnadenfrist eingeräumt bekommen. An dem negativen Umfeld, das sich in diesem Jahr für Staatsanleihen zusammenbraut, ändert sich durch den Bericht nichts. Die Zeichen stehen eindeutig auf anziehende Renditen, d.h. nachgebende Notierungen. Zufriedenstellende Anlageerträge werden nicht zu erzielen sein.
Rekordhohe Emissionen
Erhebliche Belastungen werden u.a. von den fiskalischen Folgen der Krise ausgehen. In den Industrienationen haben sich die Regierungen mit ihren gigantischen Stützungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Krise hoch verschuldet. Gleichzeitig ist aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs das Steueraufkommen stark eingebrochen. Vor diesem Hintergrund werden sie den Kapitalmarkt auch in diesem Jahr mit extrem hohen Volumina beanspruchen. Unicredit schätzt, dass die Staaten des Euroraums im mittleren bis langfristigen Laufzeitenbereich Anleihen von rekordhohen knapp 1 Bill. Euro auflegen werden nach rund 940 Mrd. Euro im gerade beendeten Turnus. Netto, nach Abzug der Tilgungen, rechnet das Institut mit einem Volumen von 465 Mrd. Euro, 75 Mrd. Euro mehr als im Jahr 2009.
Damit nicht genug, konkurrieren die Staaten auch noch mit weiteren Emittenten-Kreisen, die den Kapitalmarkt derzeit in einem bisher noch nicht da gewesenen Ausmaß beanspruchen. Nach dem Euro-Emissionsrekord vom Vorjahr werden die Unternehmen angesichts der anhaltenden Schwierigkeiten, Kredite zu erhalten, auch in diesem Turnus keine andere Wahl haben, als den Kapitalmarkt zu beanspruchen. Zum Jahresauftakt zeigt außerdem noch der Bankensektor eine äußerst rege Emissionsaktivität. Die Société Générale überschrieb ihren wöchentlichen Covered-Bond-Marktbericht mit "Turbo Speed into 2010". Die Bank rechnet für dieses Jahr mit einem Anstieg der Emissionen von 130 Mrd. auf 168 Mrd. Euro und hält es für durchaus möglich, dass dieser Wert noch übertroffen wird. Damit würde auch der bisherige Rekord des Jahres 2006 von 179 Mrd. Euro in Reichweite geraten.
Ebenso schwer wie die rekordhohe Inanspruchnahme des Kapitalmarkts wird wiegen, dass das Jahr 2010 von einem für Staatsanleihen alles andere als zuträglichen Thema geprägt sein wird. Über kurz oder lang werden die großen Notenbanken unter Führung der amerikanischen Fed beginnen, den Markt auf die geldpolitische Wende, d.h. das Ende des Niedrigzins-Umfelds, vorzubereiten. Änderungen in der Rhetorik, möglicherweise aber auch Wirtschaftsdaten, die auf ein Herannahen der monetären Wende hindeuten, dürften bereits im Voraus dafür sorgen, dass die Staatsanleihe-Märkte unter Druck geraten. Auf der anderen Seite würde aber auch ein Hinauszögern der geldpolitischen Wende letztlich nicht helfen. Denn dann würde früher oder später eine Diskussion darüber einsetzen, ob sich die Notenbanken nicht zu viel Zeit lassen und damit Gefahr laufen, dass die Inflation anzieht.
Aber auch kurzfristig werden die Staatsanleihen Belastungen ausgesetzt sein. Nach wie vor ist die Stimmung unter den Investoren sehr gut, was Risiko-Assets zugutekommt. In der neuen Woche wird nun mit dem Aluminium-Konzern Alcoa das erste Unternehmen des Dow Jones seine Zahlen für das vierte Quartal 2009 vorlegen. Sollte sich das Muster der Berichterstattung zum dritten Quartal wiederholen und sich herausstellen, dass die tatsächliche Ergebnisentwicklung von den Analysten unterschätzt worden ist, würde dies den Aktien- sowie den Credit-Märkten zu einem Schub verhelfen - zulasten sicherer Häfen wie den Staatsanleihen.
Quelle: Börsen-Zeitung