Börsen-Zeitung: Neue Spielregeln
Archivmeldung vom 13.12.2017
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Freigeschaltet durch André OttIn der europäischen Luftfahrtbranche werden die Karten neu gemischt. Dabei hat ausgerechnet Ryanair das schlechteste Blatt erwischt und die Konkurrenz hat plötzlich alle Trümpfe in der Hand. Dass insbesondere die Lufthansa bei Air Berlin den Joker gezogen und auch bei einer Übernahme von Alitalia-Assets gute Karten hat, ist indes nicht etwa nur die Folge eines "abgekarteten Spiels", mit dem der Expansionsdrang des Low Cost Carrier ausgebremst werden soll. Stattdessen zeigt sich immer deutlicher, dass Ryanair ihr Blatt überreizt hat.
Die Iren haben ihr rasantes Wachstum seit Jahren über ihre überragende Preis- und Kostenführerschaft vorangetrieben, wobei der Abstand der Lohnstückkosten im Vergleich zum Wettbewerb besonders deutlich ist. Das gilt nicht nur im Vergleich zu großen Netz-Carriern wie der Lufthansa, sondern sogar mit Blick auf Billigflieger-Konkurrenten wie Easyjet oder Norwegian. Dabei spielten bisher sowohl die höhere Produktivität als auch Gehälter, die 40 Prozent unter denen von Easyjet lagen, die entscheidende Rolle.
Beide Vorteile drohen Ryanair aus der Hand zu gleiten. Die Gesellschaft ist bei ihrem Expansionskurs übers Ziel hinausgeschossen. Das belastet die Produktivität. Es fehlen zunehmend die Ressourcen, vor allem Crews und Piloten. Im September musste Ryanair deshalb Tausende Flüge streichen. Die Mitarbeiter haben ihre Chance erkannt. Sie fordern nicht nur eine deutlich bessere Bezahlung, sondern wollen diese auch durch gewerkschaftliche Vertreter verhandeln lassen und damit Ryanair zur Anerkennung von offiziellen Tarifpartnern zwingen. Dadurch müsste der Billigflieger künftig nach neuen Spielregeln spielen, und zwar solchen, wie sie viele Wettbewerber schon seit langem beachten müssen. Dies könnte das Wettbewerbsumfeld à la longue nachhaltig verändern.
Die Ryanair-Aktionäre, die der Vorstand nach den Flugausfällen vom September mit einer Bestätigung der Jahresziele mühsam bei Laune gehalten hat, müssen sich darauf einstellen, dass sich die superfetten Jahre dem Ende zuneigen. Deshalb drohen nicht gleich magere Zeiten, denn die Luftfahrt bleibt ein wachsender Markt. Allerdings kann auch Ryanair nicht auf Dauer einen Stakeholder im Unternehmen derart bevorzugen, indem sie einen anderen drückt. Die Mitarbeiter wurden kurzgehalten, damit die Gewinne sprudeln. Sie fordern nun höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Die Chancen dafür stehen gut - allen voran für die Piloten, denn ein branchenweiter Mangel an Flugzeugführern treibt hier auch die Preise.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Heidi Rohde