BERLINER MORGENPOST: Ein Protest gegen die Bevormundung
Archivmeldung vom 14.02.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Ergebnis des Volksentscheids ist eine Sensation. Er ist eine schwere Niederlage für den Senat und bringt die rot-rote Regierung in Berlin in Bedrängnis. Noch ist offen, ob die Landesregierung oder einer der privaten Anteilseigner das Gesetz durch das Verfassungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit prüfen lassen wird. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte schon vor der Abstimmung seine Zweifel angemeldet. Doch der Senat kann über den positiven Ausgang der Abstimmung nicht hinweggehen.
Alle Verträge, Nebenabreden und Vereinbarungen zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe müssen nun öffentlich gemacht werden. Dieser Volksentscheid wird nachwirken. Vordergründig ging die Debatte um die hohen Wasserpreise. Die vor zehn Jahren ausgehandelten Verkaufsverträge mit eingebauten Gewinngarantien für die privaten Investoren führten dazu, dass die Wasserpreise in Berlin deutlich gestiegen sind. Die Abstimmung war auch ein Protest gegen die Bevormundung. Wenn Politiker meinen, dass komplizierte Sachverhalte nur in Parlamenten und Ausschüssen ordentlich diskutiert werden können, unterschätzen sie den mündigen Bürger. Die Berliner haben verstanden, dass es einen Zusammenhang zwischen der Privatisierung des Monopolisten Wasserbetriebe und den hohen Preisen gibt. Volksentscheide in Berlin sind aber mehr als nur Abstimmungen über Einzelfragen. Sie können zum Korrektiv der Politik werden. Nie hätte der Senat die Wasserverträge im Internet veröffentlicht, wenn es nicht 280.000 Unterschriften und eine teilweise Veröffentlichung durch die "taz" gegeben hätte. Auch beim Volksbegehren zur Verbesserung der Kitas reagierte der rot-rote Senat in einer frühen Phase der Unterschriftensammlung mit Nachbesserungen, weil man auch hier einen zu großen Druck der Straße befürchtete. Insofern können Massenbewegungen in Einzelfragen die Politik auch jenseits von Wahlen lenken. Sie zeigen aber auch ein zunehmendes Misstrauen in die Politik. Der schleichende Vertrauensverlust ist eine Gefahr für die repräsentative Demokratie. Das Beispiel der Flugrouten für den Großflughafen BBI zeigt, wie es nicht geht. Eine Änderung hinter verschlossenen Behördentüren, ausgewählt nach scheinbar ungerechten Kriterien und vorgesetzt ohne Mitspracherechte der betroffenen Bürger. So wird Vertrauen verspielt. Dabei ist Deutschland mit der repräsentativen Demokratie mehr als 60 Jahre gut gefahren. Ein Abwägen durch Abgeordnete nach ausführlicher Erörterung darf nicht unterschätzt werden. Im politischen Betrieb geht es auch um den Ausgleich von Interessen. Häufig müssen auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden, die aber für die Zukunft wichtig sind. Aber die Zeiten haben sich auch geändert. Die Mitbestimmung der Bürger wird immer wichtiger. Was muss die Politik nun tun? Die wichtigste Aufgabe ist es, ihre Entscheidungen transparenter zu gestalten und durch Erklären Entscheidungen nachvollziehbar zu machen. Gerade der Erfolg des Volksentscheids macht diese Forderungen an die Politiker noch dringlicher. Es geht um viel in Berlin und Deutschland in diesen Wochen. Es geht um das Vertrauen der Menschen.
Quelle: BERLINER MORGENPOST