LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Wahlen in der Ukraine
Archivmeldung vom 28.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn Demokratien sind Regierungsämter auf Zeit geborgte Macht. Wer sie nicht zur Zufriedenheit seiner Wähler nutzt, muss sie zurück geben. Der Ausgang der Parlamentswahlen in der Ukraine ist ein Lehrstück, dass auch Heldenbonus nicht vor Wählerstrafe schützt.
Die Zeit, da Präsident Viktor Juschtschenko,
der Hoffnungsträger aus den Tagen der orangenen Revolution, allein
mit Versprechungen Massen mobilisieren konnte, ist vorbei. Es zählt
die Bilanz. Die aber liest sich wie ein Kompendium des Versagens:
Blühende Korruption, steigende Preise, dramatisch gesunkenes
Wirtschaftswachstum und falsche Kompromisse mit falschen politischen
Freunden - mit derartigen Ergebnissen lassen sich nunmal keine Wahlen
gewinnen. Womit aber dann?
Dass mit Viktor Janukowitsch ein ehemaliger Nutznießer notorischen
Wahlbetrugs und Favorit des russischen Präsidenten Putin die meisten
Stimmen erhält, legt nahe, dass die Mehrheit der Ukrainer ihr Heil im
Reformstopp und Moskauhörigkeit sieht. Weit gefehlt. Es war nur
einfach falsch zu glauben, die Probleme der Ukraine würden sich
automatisch proportional zur politischen Distanz gegenüber Moskau
verringern. Im Gasstreit mit Russland zeigte sich, dass Emanzipation
ihren Preis hat. Juschtschenko verheißt seinem Volk überdies den Weg
in die Europäische Union, ohne sich in Brüssel rückzuversichern.
Dabei verspricht sich ein Großteil der Ukrainer mehr von einer
Kooperation mit Russland und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
als von einer schmerzhaften Integration nach EU-Kriterien. Auch der
vom Präsidenten avisierte Nato-Beitritt stößt in der Bevölkerung auf
Widerspruch. Warum auch sollte sich die Ukraine für die
Sicherheitsbelange des Westens verpflichten lassen, ohne an dessen
Markt teilhaben zu dürfen?
Die Korrektur dieses Kurses wird Juschtschenko sehr viel abverlangen
- nichts weniger als ein Bündnis mit der von ihm einst des Amtes
enthobenen Regierungschefin Julia Timoschenko. Nur die sich als
ukrainische Jean d'Arc gebende Oppositionsführerin vermag dem
orangenen Block eine parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Damit
zeichnet sich eine Neuauflage des Parteienbündnisses ab, dass 2004
die Annullierung der gefälschten Wahlen durchsetzte. Mit einem
entscheidenden Unterschied freilich: Diesmal sitzt Timoschenko am
längeren Hebel. Sie kann nicht nur die Bedingungen der
Koalitionsbildung diktieren, deren wichtigste heißt: Ich selbst werde
Kabinettschefin. Die mit der Wahl in Kraft getretene parlamentarische
Reform spricht dem Amt des Regierungschefs zudem mehr Macht zu als
bisher - auf Kosten des Präsidenten. Ehrgeizig und ambitioniert wie
Timoschenko ist, wird sie sich diese Chance wohl nicht entgehen
lassen. Zu befürchten bleibt allerdings, dass im Gerangel der
persönlichen Befindlichkeiten die eigentlichen Aufgaben auf der
Strecke bleiben: eine Reform der Justiz, die Trennung von Wirtschaft
und Politik und die Einbindung des russlandnahen östlichen Teils des
Landes. Misslingt auch der neue Ansatz, dann besteht die Gefahr eines
nachhaltigen Rückfalls.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung