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Neue Westfälische (Bielefeld): Kanzlerin zieht ihre Zwischenbilanz

Archivmeldung vom 23.07.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.07.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Man darf Angela Merkel nicht unterschätzen. Der Bundeskanzlerin ist zur Sommerpause mit der neuen Euro-Strategie ein alles in allem wohl gutes Werk gelungen. Der Euro steht wieder sicherer da, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Auch wenn die Staatsverschuldung nach wie vor eine beachtenswerte Gefährdung unseres Wohlstands darstellt, muss man Merkels Kanzlerschaft zur Halbzeit der Legislatur attestieren: Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Gleichwohl will sich beim Publikum so recht keine Zufriedenheit einstellen.

Schwarz-Gelb ist schon lange ohne Mehrheit, sagen uns die Meinungsforscher. Rot-Grün dagegen erlebt in Umfragen eine Renaissance. Steinbrück und Steinmeier führen die Hitlisten an, Merkel sackt ab. Das ist kein überraschendes Phänomen für eine Regierungspartei und ihren Regierungschef. Auch die SPD hat an ihrem Kanzler Gerhard Schröder gelitten. Wenn man Wahlergebnisse mit Stimmungen im Lande vergleicht, dann spricht vieles für die These, dass letztere ersteren vorauseilen: Als nach den 16 langen Kohl-Jahren die Mehrheit der Deutschen eigentlich an einer breiten Regierungsmehrheit für grundlegende Reformen, also einer großen Koalition, interessiert war, reichte es für Rot-Grün. Als die gesellschaftliche Debatte 2005 in eine neoliberale Schwarz-Gelb-Erwartung mündete, reichte es nur für eine große Koalition. Als 2009 das öffentliche Bewusstsein schwarz-grün tickte, war die Mehrheit schwarz-gelb. Und nun? Vielleicht ist es das Schicksal deutscher Regierungschefs, dass sie ihre eigene (partei-)politische Basis ruinieren müssen, wenn sie das Land mit seinen Bürgern über eine bestimmte Zeit aus der politischen Mitte heraus in eine im Prinzip richtige Richtung führen. Schröder ging es da nicht anders als Merkel jetzt. Und ein Kanzler Steinbrück stünde vermutlich sehr schnell vor einem vergleichbaren Problem. Anders als bei Schröder, dem man immerhin das Nein zum Irakkrieg und die Sozialreformen der Agenda 2010 zurechnen kann, vermisst man bei der Kanzlerin allerdings inhaltliche Linientreue und Führung. Es fehlt ihr ein politisches Werk, das man mit ihr verbindet: Wehrpflicht war zunächst unverzichtbarer Bestandteil christdemokratischer Identität, Merkel ließ sie abschaffen. Steuersenkungen sollte es nicht geben, um die Schulden abzubauen, jetzt gibt es sie doch. Eine längere Atomlaufzeit war unvermeidbar, nun schaltet Merkel alle AKW ab. Was immer man nimmt: Der Kanzlerin fehlt es bei allem Management-Talent an nachhaltigem Profil, an politischer Identität. Deutschland braucht aber eine Kanzlerin, die führt, keine Managerin der Macht. Dass Merkel solche Führung nicht bieten kann, sondern zwischen Alltagsmanagement und Krisenlamento wabert - daran laboriert die Union. Jürgen Rüttgers würde das postmoderne Beliebigkeit nennen. Damit, da hat der Ex-Regierungschef von NRW wohl recht, ist kein Staat zu machen. Auch das gehört zur Halbzeitbilanz der Kanzlerin.

Quelle: (ots)

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