WAZ: Die USA und die Wirtschaftskrise
Archivmeldung vom 24.11.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZwei Monate sind eine Ewigkeit in turbulenten Zeiten wie diesen. In zwei langen Monaten erst wird Barack Obama als 44. Präsident der USA auf den Stufen des Kapitol vereidigt.
Bis dahin wird, setzt sich der Galopp der jüngsten Vergangenheit fort, in den Vereinigten Staaten und der Welt viel passiert sein. Zum Vergleich: Vor zwei Monaten, aber einer gefühlten Ewigkeit, rasselte an der Wall Street die Investmentbank Lehman Brothers in die Pleite. Seither purzeln in atemberaubendem Tempo immer neue Dominosteine einer längst globalen Krisenkette.
In den USA war es diese Woche die Sorge um die drohende Pleite der "Big Three" aus Detroit, die alle anderen Nachrichten überschattet hat. Bis Ende des Jahres könnte General Motors, über Jahrzehnte der weltgrößte Autokonzern, zahlungsunfähig sein. Bei Chrysler sieht es nicht besser aus. Auch Ford könnte vom Strudel erfasst werden und untergehen. Die Autonation USA könnte schon bald ohne heimische Autoindustrie dastehen.
Noch vor kurzem hätte sich das niemand vorstellen können. Jetzt scheint alles möglich, wenn die Politik nicht entschieden eingreift. Wie eine Epidemie grassiert in den USA, dem Ursprungsland des weltweiten Abschwungs, das Krisenfieber. Es sprang vom Häusermarkt ins Finanzsystem. Jetzt wütet es in Amerikas Realwirtschaft. Jeder Tag bringt traurige Rekorde: Die Arbeitslosigkeit steigt wie lange nicht, Aktienkurse fallen in ungekannte Tiefen.
Man muss nicht jedes Weltuntergangsszenario aufgeregter Apokalyptiker für bare Münze nehmen, um den Ernst der Lage zu beklagen. Gerade jetzt aber, wo entschlossenes Handeln gefragt ist, stecken die USA in einer politischen Zwischenzeit. Gefragt sind mehr denn je entschiedene Macher. Im Weißen Haus aber sitzt eine lahme Ente: George W. Bush. In Chicago muss sich ein Noch-Nicht-Präsident Obama bis Januar mit dem Regieren gedulden. Der zupackende Präsident, in Krisenzeiten oft eine Stärke der amerikanischen Demokratie, fehlt dem Land just in dem Moment, in dem er am meisten gebraucht würde.
Die vorübergehende Lähmung der amerikanischen Politik ist nicht die Schuld von Bush oder Obama. Sie ist das fast zwangsläufige Ergebnis eines demokratischen Machtwechsels, der eben Zeit braucht. Was aber unter normalen Umständen niemand beklagen müsste, verschärft jetzt die Vertrauenskrise. Solange Washingtons Politik eine Auszeit nimmt, regiert im Land die Angst.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Dietmar Ostermann)