LVZ: Leipziger Volkszeitung zum Tarifstreit
Archivmeldung vom 21.01.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.01.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Gewerkschaften posaunen mit viel Tam Tam ihre Forderungen heraus. Die Arbeitgeber lehnen sie daraufhin empört ab. Dann wird verhandelt. Knallhart natürlich, vielleicht mal unterbrochen durch Warnstreiks. Zum Schluss einigen sich beide Seiten doch und können zu guter Letzt mit dem Ergebnis dann auch noch ganz gut leben.
An diesem Ritual wird sich im Tarifjahr 2006 nichts
ändern, das Gesamtmetall und IG Metall gerade eingeläutet haben. Sie
zeigen jetzt Zähne und rasseln kräftig mit ihren Säbeln, um die
Claims für die Verhandlungen abzustecken.
Dass dabei ein Abschluss um die fünf Prozent angesichts der hohen
Lohnkosten in Deutschland herauskommt, ist unrealistisch. Das wissen
die Verhandlungsführer der Industriegewerkschaft genau. Jedes
Ergebnis, das unter dem Inflationsausgleich des vergangenen Jahres
liegen würde, wäre der Arbeitnehmerschaft kaum zu vermitteln. Das
wissen auf der anderen Seite die Arbeitgeber. Und so werden sich die
Tarifparteien zum Schluss wieder zusammenraufen und sich auf einen
Kompromiss von zwei Prozent plus X einigen. Dafür braucht man kein
Prophet zu sein.
Auch deshalb, weil Streiks in der Geschichte der Bundesrepublik
die Ausnahme sind. Tarifverhandlungen wurden in der Vergangenheit im
Allgemeinen mit Augenmaß geführt. Das war eine der Stärken des
Standortes "D" und ist es bis heute auch geblieben. Im Vergleich der
Industrienationen hat Deutschland mit die geringsten
Produktionsausfälle durch Arbeitskämpfe. Dafür bewiesen auch die
Gewerkschaften in der Regel Augenmaß.
Aber von einer Regel gibt es immer Ausnahmen. Etwa im Sommer 2003.
Als die IG Metall in Ostdeutschland ein Desaster erlebte und auf
Teufel komm raus die 35-Stunden-Woche durchboxen wollte. Das ging
gründlich daneben. Viele Beschäftigte machten nicht mit. Zumal hier
auch nur ein geringer Teil der Industrie-Beschäftigten tariflich
gebunden ist und die Bündnisse für Arbeit in den Betrieben eine
wesentlich bedeutendere Rolle als im Westen der Republik spielen.
Trotzdem: Der kommende Tarifabschluss bei den Metallern hat mehr
als nur Signalwirkung. Beide Parteien müssen inzwischen auch
makroökonomisch denken und das Spannungsfeld zwischen schwacher
Binnenkonjunktur und schleppendem Wachstum austarieren. Denn beides
gehört zusammen, damit der Standort prosperiert. Sinkt nämlich die
Kaufkraft, wirkt sich dies weiter negativ auf die Inlandsnachfrage
aus. Wird die Arbeit teurer, werden noch mehr Jobs ins Ausland
verlagert, was die jüngsten Beispiele AEG oder Continental belegen.
Das sind auch die Koordinaten, an denen sich Arbeitnehmer und
Arbeitgeber orientieren werden, unabhängig davon, dass Deutschland in
den vergangenen zehn Jahren durch seine Lohnzurückhaltung glänzte und
damit die Lohnstückkosten schon deutlich senkte. Denn es geht um die
globale Wettbewerbsfähigkeit, die Kannegiesser, Peters und Co. im
Blick behalten müssen - unabhängig von den Ritualen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung