Die Lausitzer Rundschau Cottbus zu Münteferings Rückzug
Archivmeldung vom 01.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWie man aus einer Niederlage (fast) einen Sieg macht, das hat die SPD in den vergangenen Wochen bewiesen. Jetzt demonstriert sie dem verblüfften Publikum, dass sie das Kunststück in die andere Richtung noch weitaus perfekter beherrscht. Bis gestern Nachmittag hatten die Genossen jedenfalls gute Gründe, sich als eigentliche Gewinner der Bundestagswahl vom 18. September zu fühlen:
Zur stärksten Fraktion hatte es zwar nicht gereicht. Aber der viel
beschworene Angriff der Neoliberalen war – trotz Gewinnen der FDP –
abgewehrt. Die neue Bundesregierung würde zwar eine CDU-Kanzlerin,
aber ein sozialdemokratisches Gesicht haben. Und die achtköpfige
Ministerriege, die die Genossen ins Kabinett schicken wollten,
erschien den meisten Beobachtern nicht nur schlagkräftiger als das
Personaltableau der Christdemokraten – sie war strategisch auch
dermaßen geschickt verteilt, dass schon von einer zwischen SPD und
CSU eingemauerten Angela Merkel die Rede war. Die eigentliche Macht,
so schien es, würden andere in den Händen haben: Zum einen CSU-Chef
Edmund Stoiber. Zum anderen SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, der
als Arbeitsminister selbst ins Kabinett Merkel eintreten und dort die
Fäden ziehen wollte. Damit wird es nun nichts mehr werden:
Münteferings Tage als SPD-Chef sind gezählt, ob er das Ministeramt
tatsächlich übernimmt, ist mehr als fraglich. Wie es mit den
Koalitionsverhandlungen weiter geht ist offen, die Zukunft der SPD
sowieso. Mit einem Schlag hat sich alles geändert. Zwar darf
angenommen werden, dass die große Mehrheit jener im SPD-Vorstand, die
gestern mit der Nominierung von Andrea Nahles zur SPD-
Generalsekretärin ihrem Noch-Parteichef eine schallende Ohrfeige
versetzten, den Rückzug Münteferings nicht wollten. Billigend in Kauf
haben sie ihn allemal genommen. Bei allem Ärger, den es über die Art
und Weise gegeben haben mag, wie Müntefering seinen eigenen
Kandidaten Kajo Wasserhövel durchsetzen wollte – mit der Demontage
Münteferings hat sich die SPD-Spitze so rational verhalten wie ein
Feldherr, der sich mitten in einer erfolgreich verlaufenden Schlacht
in sein Schwert stürzt, weil ihn das Hühnerauge schmerzt. Der kurzen
Lust am Untergang folgte gestern umgehend die Katerstimmung. Kein
Wunder: Denn die Genossen stehen vor einem Scherbenhaufen. Anstatt in
Ruhe abzuwarten, wer sich in den kommenden Jahren als neue
Führungskraft profiliert, müssen sie in allerkürzester Zeit (und
während die Koalitionsverhandlungen weiterlaufen) einen geeigneten
Vorsitzenden präsentieren. Am wahrscheinlichsten ist deshalb, dass es
sich um einen Übergangskandidaten handeln wird – der rheinland-
pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck käme hierfür wohl am ehesten
infrage. Wenn sich die Genossen aber wider Erwarten doch für den
großen Schnitt entscheiden, dann kann es gut passieren, dass einer
gefragt wird, der schon zweimal für höhere Aufgaben im Gespräch war:
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck. Zweimal hat er zwar
schon Nein gesagt. Diesmal aber sieht es anders aus.
Quelle: Presemitteilung Lausitzer Rundschau