Leipziger Volkszeitung zu 9/11 und Petraeus-Bericht Gescheiterter Krieg
Archivmeldung vom 11.09.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWie jede historische Wende verbindet sich auch jene Ära, die die Anschläge von New York einleiteten, mit einem konkreten Datum, einem Feindbild und einem all das personifizierenden Gesicht. Als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Twin Tower des World Trade Center rasten, war der Kampf gegen den Terrorismus geboren, der Feind trug mit Osama Bin Laden einen Namen und ein Konterfei. Die Welt war geteilt in Gut und Böse, wir oder sie.
Wie sehr diese polarisierende
Sicht über Ländergrenzen, Ansichten und Interessen hinweg einte,
machte Strucks vereinnahmendes Bekenntnis am Tag der Anschläge
deutlich, dass wir heute alle Amerikaner sind.
Inzwischen ist die damals ernst gemeinte Solidarität der ebenso
ernsten Frage gewichen, ob der von den USA in Reaktion auf den 11.
September eröffnete Krieg gegen den Terrorismus eigentlich weiterhin
Unterstützung verdient. Kein Wunder: Der Plan zum Militärschlag gegen
Afghanistan und Irak war schon vor dem 11. September verfasst worden,
Saddam verfügte nicht, wie behauptet, über atomare
Massenvernichtungswaffen - stattdessen hat der Anti-Terrorkrieg El
Kaida erst jenes Betätigungsfeld verschafft, das US-Präsident Bush
verhindern wollte und Osama Bin Laden in den Rang eines Messias
erhoben, der sich mit minderwertigen Selbstinszenierungsvideos
medialen Zuspruch verschafft. Am Fazit des Anti-Terrorkrieges gibt es
kaum einen Zweifel: Er ist gescheitert.
Und das musste er auch, denn die Politik der hinter Bush stehenden
Neokonservativen, Demokratisierung durch Kriege zu erzwingen, geht
von falschen Prämissen aus. Die größte Quelle des politischen
Terrorismus entspringt weder dem Koran noch dem Islam, sondern aus
dem sehr realen Nahost-Konflikt sowie der damit verbundenen
geostrategischen Politik der Bush-Regierung in der Region. Die Idee,
ein Regime zu stürzen, um es anschließend zum demokratischen Modell
zu klonen, erzeugt keinen Domino-Effekt, sondern Widerstand.
Brutstätten des islamischen Terrors sind wie Afghanistan, Sudan,
Palästina häufig Staaten mit unterentwickelten Gesellschaften. Ihre
militärische Zerstörung bringt religiösen Gewalttätern Zulauf, statt
ihn einzudämmen - ein Teufelskreis, für den gerade der Irak
exemplarisch steht. Dieser Zusammenhang findet sich allerdings nicht
im Bericht des Oberkommandierenden General Petraeus. Sein Auftrag
heißt, Fortschritte im Irak aufzuzeigen. Dass die nichts mehr mit den
ursprünglichen Zielen zu tun haben, zeigt sich in der dramatisch
tiefer gelegten Messlatte. Sogar eine mögliche Spaltung Iraks in
einen sunnitischen, schiitischen und kurdischen Teil wird jetzt von
Washington als Erfolg verkauft. Entsprechend vage bleibt der Bericht
in der Frage des Abzugs.
Was sich dagegen schon jetzt abzeichnet, ist der enorme Preis des
Anti-Terrorkriegs, den die USA selbst entrichten. Aus dem Sieger des
Kalten Krieges - militärisch unbesiegbar, ökonomisch konkurrenzlos
und diplomatisch unanfechtbar - ist eine Macht mit schwindendem
Einfluss und sinkender Dominanz geworden, während neue globale
Spieler wie Russland und China zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung