Lausitzer Rundschau: Aussetzen heißt nicht aufgeben
Archivmeldung vom 14.08.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Wehrpflicht für junge Männer passt nicht zur hochkomplizierten Technik und Spezialisierung heutiger Armeen, sie passt nicht zu den Auslandseinsätzen, mit ihren besonderen Anforderungen an die Soldaten. Sie passt auch nicht zur aktuellen Größe und Ausstattung der Bundeswehr, die alle wehrpflichtigen Männer gar nicht beschäftigen kann, so dass die Auswahl zuletzt immer willkürlicher geworden ist. Und dennoch gehen mit der Aufgabe der Wehrpflicht mehrere zentrale Vorteile verloren.
Da ist zum einen die Verbindung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Eine reine Berufsarmee wird leichter zum Staat im Staate. Aber selbst wenn man nicht so schwarz malt, bleibt es doch ein Vorteil, dass durch die Wehrpflicht die Erfahrung Militär, positiv wie negativ, in normale Familien Einzug hält. Das Interesse der Gesellschaft an der Bundeswehr ist dadurch höher, der Blick kritischer. Auch sorgt die Wehrpflicht dafür, dass das Potenzial der Verrohung, das jeder Armee innewohnt, begrenzt bleibt. Zudem ist angesichts der demografischen Entwicklung absehbar, dass nicht unbedingt die Klügsten und Reifsten zur Berufsarmee gehen würden, sondern jene, die dort ihre einzige Chance sehen. Eine negative Auslese also. Es sei denn, man macht den Dienst sehr attraktiv - und damit teuer. Unter diesen widerstreitenden Prämissen scheint der Verteidigungsminister mit seinem Konzept einer Freiwilligen-Armee einen akzeptablen Kompromiss gefunden zu haben. Wichtig daran ist, dass die Wehrpflicht nicht abgeschafft, sondern lediglich ausgesetzt wird. Sie kann im Bedarfsfall reaktiviert werden; alle Mechanismen bleiben erhalten. Auf einem anderen Blatt steht, dass die künftige Größe der Bundeswehr, 165 000 Männer und Frauen statt derzeit 250 000, allein von den Finanzen diktiert wird und nicht von den Aufgaben. Wie viele Einsätze muss die Bundeswehr stemmen können, welche Ausstattung und Struktur braucht sie dafür, und wie kann der Verbrauch an Ressourcen durch europäische Arbeitsteilung minimiert werden - die Antworten auf diese Fragen müssten die Basis jeder Strukturreform sein. Guttenbergs Reformvorschlag scheint nicht schlecht, doch wird man ihn noch vom Kopf auf die Füße stellen müssen. Und dann wird man feststellen, dass so viel Geld wie erhofft bei der Bundeswehr wohl doch nicht gespart werden kann. Jedenfalls nicht, wenn man den Satz von der internationalen Verantwortung Deutschlands noch halbwegs ernst nimmt.
Quelle: Lausitzer Rundschau