WAZ: Stürzt Westerwelle, weil er schwul ist?
Archivmeldung vom 11.01.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWird der eigentliche Grund für den Niedergang Guido Westerwelles verschwiegen? Wird er nicht stürzen, weil er Fehler machte, sondern, weil er homosexuell ist? Der Literatur-Großkritiker Fritz J. Raddatz weiß, weshalb es um den deutschen Außenminister und liberalen Parteivorsitzenden geschehen ist: "Nur erfolgreichen Homosexuellen verzeiht der deutsche Spießer ihre Neigung...". Und von Erfolg könne eben bei Westerwelle nicht die Rede sein.
Wenn die tolerante Seele dies (im aktuellen Focus) liest, schreit sie auf. Schwule Diskriminierung? In Deutschland? 2010/2011? Darf nicht wahr sein. Oder? Und doch ... Dann fällt es einem wieder ein, das vertrauliche Gespräch mit einem bekennend katholischen Minister, einem durchaus liberal gesonnenen Menschen. Dass Westerwelle seinen Lebensgefährten, den Sportvermarkter Michael Mronz, auf Staatsbesuch mit ins Ausland nehme, "hat meine Mutter nicht verstanden". Oder der liberale Minister, selbst hoch angesiedelt in der Hierarchie der Liberalen: "Man wird schon in der eigenen Partei darauf angesprochen. Ja, das stimmt." Man kann das ja für Einzelstimmen halten, vielleicht sogar für solche der bedauerlichen Art, aber sie geben ein verbreitetes Gefühl wieder. Und dann ist da noch diese Umfrage. "Halten Sie die offen gelebte Homosexualität von Außenminister Westerwelle für ein Problem bei seiner Amtsführung?" Das wollte das Münchner Nachrichtenmagazin wissen. Die Antwort mutet auf den ersten Blick weltoffen-liberal an: 75 Prozent der Befragten antworten mit nein. Nur: Was heißt das für die Toleranz unserer Gesellschaft, wenn jeder Vierte bis Fünfte sagt: Ja, sein Schwulsein ist ein Problem? Und doch liegt Raddatz falsch. Dass Westerwelle schwul ist und das offen lebt, ist nicht der eigentliche Grund für seinen Niedergang. Es ist Westerwelles lautes, demonstratives, Marketing-getriebenes Auftreten. Dadurch verletzt er über Parteigrenzen hinweg bürgerliches Stilempfinden. Dadurch hat er sich über die Jahre verbraucht. Fazit: Nicht Westerwelles Schwulsein an sich, sondern das Schwulsein als integrativer Bestandteil eines insgesamt exzessiven Politikstils, das ist Westerwelles Problem. Die Schlussfolgerung ist wichtig: Westerwelle wird nicht gestürzt, er stürzt sich selbst.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung