Deutschland verarmt, für den Spiegel ist das kein Problem
Archivmeldung vom 09.11.2023
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićThomas Röper schrieb den folgenden Kommentar: "Im Spiegel ist ein Artikel über die Gasversorgung in Deutschland erschienen, der vor Lügen nur so strotzt, weshalb sich ein näherer Blick darauf lohnt. Der Spiegel hat einen Artikel mit der Überschrift „Heizsaison – Darum ist Deutschlands Gasversorgung plötzlich so stabil <1>“ veröffentlicht, der wirklich interessant ist. In dem Artikel freut sich der Spiegel, dass die deutschen Gasspeicher zu Beginn der Heizsaison randvoll sind und der Spiegel ist optimistisch, dass Deutschland gut durch den Winter kommt. Danach sieht es in der Tat aus, wenn der Winter nicht extrem kalt wird."
Röper weiter: "Der Spiegel stellt es so dar, als sei die Energiekrise vorbei und schreibt:
„Wie kam es zu der Kehrtwende – und wie stellt sich die Lage insgesamt dar?“
Das ist ein komplexes Thema, bei dem es aber einen wichtigen Aspekt gibt, den der Spiegel in seinem Artikel nicht erwähnt. Das Statistische Bundesamt schreibt <2>:
„Im 1. Quartal 2023 wurden in Deutschland 132,8 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt und in das Netz eingespeist. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach vorläufigen Ergebnissen mitteilt, waren das 7,8 % weniger Strom als im 1. Quartal 2022. Gründe für die ungewöhnlich niedrige Stromeinspeisung waren milde Temperaturen, hohe Strompreise und eine konjunkturelle Abschwächung.“
Im Klartext: Deutschland verbraucht 2023 deutlich weniger Strom, weil die Strompreise so hoch sind. Und man kann im Wirtschaftsteil des Spiegel ständig lesen <3>, dass die hohen Strompreise der Grund für die Wirtschaftskrise in Deutschland sind, was das Statistische Bundesamt als „konjunkturelle Abschwächung“ bezeichnet. Das bedeutet, dass die hohen Strompreise der Wirtschaft schaden und das wiederum bedeutet, dass die Wirtschaft weniger Strom verbraucht.
Davon, dass es in Deutschland beim Gas eine „Kehrtwende“ im positiven Sinne gibt, wie der Spiegel seinen Lesern zu Beginn des Artikels suggeriert, kann also keine Rede sein.
Im Winter sind trotzdem keine existenziellen Probleme zu erwarten, wenn es kein extrem kalter Winter wird. Die vollen Gasspeicher reichen für etwa zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate und inzwischen ist dafür gesorgt, dass notfalls wahrscheinlich genug teures LNG geliefert werden kann. Das macht Strom und Heizung in Deutschland allerdings wesentlich teurer als sie früher waren, aber das Gas dürfte reichen, wenn der Winter nicht lang und sehr kalt wird.
Allerdings ist „teurer“ das Stichwort, denn das Problem ist der hohe Energiepreis, der die deutsche Wirtschaft abwürgt. Und das hat mittel- und langfristig katastrophale Folgen für Deutschland.
Russland ist schuld?
Der Spiegel gibt sich einige Mühe, um seine Leser von den Gründen für die hohen Preise abzulenken. Und wie immer lautet die Regel beim Spiegel „Russland ist an allem Schuld!“. So auch hier, denn in dem Artikel erfahren wir:
„Es war vor allem der vermehrte Import von LNG, der Deutschland und Europa rettete, als Russland infolge des Ukrainekriegs seine Gaslieferungen drosselte. 2018 bis 2019 hatte Flüssigerdgas nur einen Anteil von 20 Prozent an Europas Gasimporten. Im Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023 waren es 40 Prozent.“
Es waren Deutschland und die EU, die Nord Stream 2 nicht einschalten wollten. Es waren Deutschland und die EU, die auf russisches Pipelinegas verzichten wollten (und heute ganz stolz darauf sind, das angeblich geschafft zu haben). Es waren die westlichen Sanktionen <4>, die eine ordnungsgemäße Wartung der Turbinen für Nord Stream 1 verhindert und so zur Abschaltung der Pipeline geführt haben.
Aber laut Spiegel hat Russland seine Gaslieferungen gedrosselt und Deutschland und die EU mussten durch den Import von teurem LNG gerettet werden. Das ist eine bemerkenswerte Verdrehung der Tatsachen, die der Spiegel seinen Lesern auftischt.
Starrer oder flexibler Markt?
Aber es kommt noch besser, denn der Spiegel stellt es so dar, als habe das LNG, das nun nach Europa kommt, nichts mit Russland zu tun, dabei hat der Spiegel doch Anfang September 2023 selbst berichtet <5>, dass die EU die LNG-Importe aus Russland rapide erhöht hat und dass die inzwischen EU 50 Prozent des russischen LNG kauft. Russland ist mittlerweile der zweitgrößte LNG-Lieferant der EU <6>.
Mit anderen Worten: Deutschland kauft immer noch russisches Gas, nur eben LNG, das teurer ist als Pipelinegas. Und dass das so ist, ist nicht Russlands Schuld, Russland hätte auch weiterhin günstiges Gas durch die Nord Streams geschickt, was aber Berlin und Brüssel nicht wollten. Inzwischen sind die Nord Streams gesprengt, damit Deutschland nicht doch noch auf die Idee kommen kann, wieder günstiges Gas in Russland zu kaufen.
Der Spiegel benutzt übrigens eine sehr interessante Formulierung, wenn er seinen Lesern den Unterschied zwischen Pipelinegas und LNG erklärt:
„Der LNG-Markt ist, anders als das starre Pipelinegeschäft, ein flexibler Weltmarkt.“
Ein „starres Pipelinegeschäft“ klingt natürlich negativ, aber „flexibler Weltmarkt“ klingt positiv. Das Problem ist, dass bei dem „starren“ Markt vor allem eines „starr“ war, nämlich die niedrigeren Preise, das werden wir noch sehen. Beim „flexiblen Weltmarkt“ hingegen sind die Preise meistens höher und vor allem unberechenbarer. Beim „starren“ Pipelinegas sind die Preise sehr stabil, beim „flexiblen Weltmarkt“ können sie sich jeden Moment ändern, was für die Wirtschaft, die ihre Kosten planen muss, natürlich Gift ist.
Die Preise haben sich normalisiert?
In dem Spiegel-Artikel wird die Desinformation immer weiter gesteigert. Nachdem der Spiegel einiges über den Gasverbrauch geschrieben hat, kommt plötzlich:
„Entsprechend haben sich auch die Marktpreise weitgehend normalisiert und stabilisiert. Am wichtigen niederländischen Handelspunkt TTF lag der Preis für die Megawattstunde Erdgas zuletzt bei 40 Euro. Im vergangenen Jahr waren es um dieselbe Zeit herum rund 70 Euro, im Dezember 2022 waren es sogar mehr als 140 Euro.“
Das klingt beruhigend, allerdings ist es sehr irreführend. Die normalen Gaspreise endeten in Deutschland im Spätsommer 2021, denn damals begann die Gaskrise in Europa, wie ich damals schon berichtet <7> habe. Eine Normalisierung, von der der Spiegel fabuliert, würde vorliegen, wenn die Gaspreise auf den Stand von Sommer 2021 zurückkehren würden. Aber der Spiegel erwähnt die Preise im Jahr 2021 in seinem Artikel nicht, damit seine Leser nicht bemerken, wie sie an der Nase herumgeführt werden.
Dabei ist der Spiegel mal wieder sehr geschickt vorgegangen, denn er zeigt eine Grafik, die die Gaspreise für Neukunden in Deutschland in Cent pro Kilowattsunde zeigt. Geschickt hebt der Spiegel darin die dunkle Linie für die Preise von 2023 hervor, um zu zeigen, wie toll sich alles entwickelt.
Allerdings hofft der Spiegel darauf, dass die Leser sich die Grafik nicht genau anschauen, dabei kann man sogar mit der Maus über die Grafik fahren und sich die Preise eines jeden Monats anschauen. Wenn man das tut, dann stellt man fest, dass die Gaspreise in 2021, als Deutschland noch russisches Pipelinegas bezogen hat, stabil bei 4 Cent pro Kilowattstunde gelegen haben. Ende Oktober 2021 lagen sie bereits bei 12 Cent und am Jahresende schon bei 21 Cent. Und das war noch vor dem Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine, diese Preisexplosion war eine Folge der EU-Reform der Gasmärkte zugunsten von LNG.
Dereit beträgt der Gaspreis in Deutschland 8 Cent, was der Spiegel als „weitgehend normalisierten“ Preis bezeichnet. Dass dieser „normalisierte“ Preis doppelt so hoch liegt, wie vor dem von der EU forcierten Umstieg von russischem Pipelinegas auf teures LNG, verschweigt der Spiegel seinen Lesern in dem Artikel.
Die kleine und unscheinbare Grafik in dem Spiegel-Artikel werden sich die wenigsten etwas genauer angeschaut haben, aber niemand kann dem Spiegel vorwerfen, er hätte etwas verheimlicht. Er hat es nur in seinem Artikel nicht erwähnt, dass die Leser die Grafik nicht genau studieren, ist deren Problem.
Alles wird gut?
Lustig wird es, wenn der Spiegel gegen Ende seines Artikels zeigen will, dass alles gut ist. Er schreibt:
„Es ist daher eher nicht davon auszugehen, dass die Bürgerinnen und Bürger gerade viel Druck verspüren, ihren Verbrauch beim Heizen zu drosseln. (Zumindest nicht aus Angst vor einer Versorgungslücke. Aus Engagement für den Klimaschutz vielleicht schon.)“
Vor einem Jahr hieß es „Frieren gegen Putin!“, heute heißt es „Frieren für Greta!“. Ach nein, falsch, denn Greta ist ja neuerdings böse, weil sie Verständnis für die Palästinenser und Kritik an Israel geäußert hat. Dann eben „frieren für das Klima“, wenn auch ab sofort ohne Greta. Wobei es für viele Deutsche, die sich den verdoppelten Gaspreis nicht leisten können, heißen dürfte: „Frieren, weil das Geld nicht für die Heizung reicht.“
Auch für die wirtschaftliche Katastrophe, also die Deindustrialisierung, die Deutschland dank der explodierten Preise droht, kann der Spiegel positiv darstellen:
„Die Industrie, der andere große Gasverbraucher, scheint ihren Verbrauch indes gerade dauerhaft zu reduzieren. Hier spielen wohl nicht nur Kostensenkungen eine Rolle, sondern auch der beginnende, staatlich gestützte Umbau der Wirtschaft in Richtung CO2-Neutralität.“
Dass die Wirtschaft vor allem deshalb deshalb den Gasverbrauch senkt, weil die Produktion von Waren in Deutschland zu teuer geworden ist und viele Firmen ihre Produktion daher aus Deutschland ins Ausland verlagern und ihre Betriebe in Deutschland schließen, vergisst der Spiegel zu erwähnen.
Dafür beendet der Spiegel seinen Artikel mit einem positiven Ausblick:
„Insgesamt sieht die Lage für den kommenden Winter entsprechend gut aus. Gasexperte Zachmann sagt: »Es müsste schon sehr vieles gleichzeitig schiefgehen, damit es zu einer Versorgungsnot kommt.«“
Alles wird gut, die Deutschen können im Winter wahrscheinlich heizen und nur die ärmsten Deutschen, die die Heizung nicht bezahlen können, müssen frieren, aber das ist dem Spiegel nicht so wichtig. Und dass die Wirtschaftskrise und die Deindustrialisierung dafür sorgen, dass es in Zukunft immer mehr Deutsche werden, die sich im Winter keine warme Wohnung mehr leisten können, das ist anscheinend auch nicht so wichtig.
Quellen
<2> https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_220_43312.html
<4> https://www.anti-spiegel.ru/2022/dank-der-sanktionen-nord-stream-1-dauerhaft-ausser-betrieb/
<6> https://www.ft.com/content/1e70ff72-52d8-46b6-a8f4-fcc86fb88a6d
Quelle: apolut von Thomas Röper